Über Alexander und Wilhelm von Humboldt
Wilhelm ist der Ältere der Brüder, 1767 geboren; Alexander ist zwei Jahre jünger. Die Nobilitierung der Familie war noch jung, die Brüder waren keine Nachkommenschaft aus dem Junkeradel, das hätte angesichts ihrer geistigen und politischen Liberalität denn doch sehr verwundert. Aber Unabhängigkeit in jeder Hinsicht entsprach sehr wohl ihrem aristokratischen Selbstverständnis; beiden Brüdern war es eine grauenhafte Vorstellung, Vorgesetzte zu haben. Ein Zug der Zeit war wohl die starke Ichbezogenheit der Brüder, denn auch zahlreiche Zeitgenossen (wie auch Kleist, Goethe und Schiller) tiefinnerst von der hohen Bedeutung der eigenen Person überzeugt.
Beide Brüder waren wenig religiös, zumindest im kirchlichen Sinn; dem Pietismus, der damals noch sehr hohes Ansehen genoß, gegenüber äußerten sie sich geradezu feindselig! Das Desinteresse in religiösen Dingen, woraus Wilhelm von Humboldt kein Geheimnis machte, machte den preußischen König sehr bedenklich, ob er einen solchen Menschen zum Minister ernennen könnte.
Beide Brüder teilten auch einen stark ausgeprägten Sozialsinn, Alexander in einer radikalen Ausprägung, ganz im Geist von 1789, sein lebenslanges Engagement gegen die Sklaverei gehört hierher; der Bruder dachte als Politiker gemäßigter, aber beide waren erklärte Gegner der Karlsbader Beschlüsse von 1819. Noch als alter Mann versuchte Alexander von Humboldt als angebliche Demagogen verfolgte Literaten in Schutz zu nehmen, er wagte sogar für den in politischen Kreisen allseits verhaßten Heinrich Heine ein gutes Wort einzulegen, vergebens allerdings.
Alexander von Humboldt war ein Anhänger der Revolution von 1848. Tagsüber besuchte er in jenen Tagen Veranstaltungen der Aufständischen, abends dinerte er beim König. In politischen Dingen nahm man den Greis nicht ernst, seine liberalen Vorstellungen galten als überholt, lächerlich und indiskutabel.
Nicht nur Alexander, der Fernreisende, auch Wilhelm wurde von einem unruhigen Geist getrieben, beide lebten lange Jahre fast nomadenhaft und ohne wirklich festen
Wohnsitz, beide verbrachten Jahrzehnte ihres Lebens im Ausland. Alexander sah in der “moralischen Unruhe” die Hauptursache der großen (wie er meinte) Unvollkommenheit seiner Werke. Vgl. Werner S.
105 Von dieser Unruhe schrieb er als: “... dieses ewige Treiben in mir (als wären es 10.000 Säue)...”
Eine weitere sehr wichtige Gemeinsamkeit ist, daß die Brüder in jungen Jahren schon den Umgang mit solch großen Geistern wie Goethe und Schiller genießen durften. Der Genius von Weimar hat sowohl Alexander als Wilhelm fürs Leben geprägt.
Soweit zu den Gemeinsamkeiten der Brüder, die eigentlich doch recht zahlreich sind. Meistens werden im Vergleich die Verschiedenheiten hervorgehoben: Wilhelm gilt als der Introvertierte, Alexander dagegen als weltoffen, lebendig und kontaktfreudig. Alexander als Naturwissenschaftler wird gern polarisiert mit Wilhelm als Geisteswissenschaftler.
Wilhelm verstand sich, gerade nach dem Zusammenbruch seines Vaterlandes von 1806, der Niederlage durch Napoleon, als Preuße, zumindest als Deutscher. Er mahnte wiederholt den Bruder, sich zu seiner Deutschheit zu bekennen. Aber Alexander fühlte sich, erst recht nach seiner langen Reise, als Kosmopolit. Als Wohnort liebte er Paris, Berlin war ihm verhaßt! Nicht freiwillig, sondern weil er dafür bezahlt wurde, lebte er ab 1827 inmitten der, wie er sie sah, brandenburgischen Wüstenei.
Immer wieder ist gefragt worden, welcher Bruder der klügere gewesen sei. Die Lehrer hielten Wilhelm für intelligenter, aber er war der Ältere und zwei Jahre
Unterschied bedeuten viel in der Jugendzeit. Die Brüder selbst haben wiederholt den jeweils anderen als den Besseren, den Verdienteren, den Rühmlicheren angesehen.
Alexander und Wilhelm von Humboldt gehören zu jenen Menschen, die durch äußere Verhältnisse begünstigt waren, eigene Ideen nicht nur fassen, sondern auch, den reichlichen Mitteln entsprechend, verwirklichen zu können. Im Goetheschen Sinn erstrebten beide eine universale Morphologie; Alexander von Humboldt hat diese in der Idee des Naturgemäldes verkörpert gesehen, Wilhelm von Humboldt in seiner neuartigen Auffassung von Sprache. Für beide ist die Zielsetzung eine zu einem harmonischen Ganzen sich fügende Person, die eine originelle Individualität auszeichnet. Das hervorragende Werk mischt sich und mündet bei beiden in einer hervorragenden Persönlichkeit.