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Über Friedrich Schlegel und Novalis (die Philosophie der Frühromantik)



Im Herbst 1799 kommt es zu einem Treffen der Romantiker in Jena, das als Höhepunkt der Frühromantik betrachtet werden kann. Friedrich Schlegel traf als Erster ein, von Berlin kommend, bald gefolgt von seiner Lebensgefährtin Dorothea Veit, älteste Tochter von Moses Mendelssohn. Das Ehepaar Amalie und Ludwig Tieck reiste an, im Romantikerkreis mußten die Tiecks damals noch schwer um Anerkennung ringen.


Der berühmte Philosoph Fichte hatte Jena wegen Anklage auf Atheismus im Juli 1799 verlassen müssen, fand in Berlin eine neue Heimat, blieb aber jetzt zusammen mit Friedrich Schleiermacher in der preußischen Hauptstadt zurück. Man versammelte sich im Haus von August Wilhelm Schlegel, in Jena außerordentlicher Professor für Literatur, und dessen Gattin Caroline, die aber schon damals eine Liebesbeziehung mit Schelling unterhielt, auch er Inhaber einer außerordentlichen Professur in Jena und ebenfalls zugegen bei dem Treffen der Romantiker.


Als letzter auswärtiger Gast traf Novalis ein, der sich von seiner anstrengenden Vollzeittätigkeit als Salineninspektor nur vom 11. bis zum 14. November hatte freimachen können. Anwesend war außerdem der Physiker Johann Wilhelm Ritter, ganz und gar Autodidakt, in dürftigen Verhältnissen in Jena lebend. Dazu kamen außerdem noch Gelegenheitsgäste, die nur stundenweise blieben. Keiner der anwesenden Männer war älter als dreißig Jahre!


Ritter stellte galvanisch-elektrische Experimente an und der Galvanismus gehörte, neben der Religion und der Poesie, zu den großen Themen bei dem Treffen. Friedrich Schlegel schrieb an Schleiermacher, wie gesellig und heiter es herging. “Hier geht’s ziemlich bunt und störend durcheinander - Religion und Holberg, Galvanismus und Poesie. Du kannst es leicht denken, was zwey solche Feuer und Wasser sprudelnde Menschen wie Hardenberg und Tieck für ein Wesen zusammen treiben.”


Man traf sich mittags und abends zum Essen und zu gemeinsamen Gesprächen, es wurden lange Spaziergänge unternommen, aber man hielt auch regelrechte Sitzungen ab, auf denen Artikel für die Zeitschrift “Athenäum” besprochen wurden. Tieck las Erzählungen vor, Schelling trug aus seiner im Entstehen begriffenen Naturphilosophie vor und Novalis brachte seinen Aufsatz “Die Christenheit oder Europa” zum ersten Mal zu Gehör. Die darin propagierte Parteinahme für den Katholizismus wurde allgemein verspottet! Die Mehrzahl der genannten Anwesenden sollte im Laufe des Lebens zum Katholizismus konvertieren, nur August Wilhelm Schlegel sowie Novalis und Ritter nicht, die beide früh verstarben. Der Katholizismus war eine verborgene Blüte in dem Gedankenwuchs der Romantiker, die erst mit der Zeit zum Vorschein kommen sollte.


Nicht nur Novalis mußte sich Spott gefallen lassen, Ritters Galvanismus-Studie wurde als „Metaphysik der Froschschenkel“ verulkt. Man trieb 'Fröhliche Wissenschaft', aber man schreckte auch nicht davor zurück, sich auch gelegentlich grob zu traktieren, der freundschaftliche Ton blieb erhalten. In dieser Geselligkeit entwickelten die Beteiligten ein “Bündnis als reine, wild spielende Phantasie” (Henrik Steffens)!


Ludwig Tieck schrieb 1828 rückblickend auf diese Tage an August Wilhelm Schlegel: “Du und Dein Bruder Friedrich, - Schelling mit uns, wir alle jung aufstrebend, Novalis-Hardenberg, der oft zu uns herüber kam: diese Geister bildeten gleichsam ununterbrochen ein Fest von Witz, Laune und Philosophie.”
“Ich habe tausend Freuden gehabt”, schrieb Caroline Schlegel am 5. Oktober 1799 an ihre Freundin Luise Gotter, “aber seit einem vollen Vierteljahr keinen Augenblick Ruhe ... Welche gesellige fröhliche musikalische Tage haben wir erlebt! ... Damals hatte ich jeden Mittag 15 - 18 Personen zu speisen. Meine Köchin ist gut, ich aufmerksam, und so ging alles aufs beste... Wir lebten in schöner Geselligkeit.”


Dorothea Veit berichtete Schleiermacher in einem Brief über Novalis und Tieck, die sich erst einige Monate zuvor kennengelernt hatten und sich sehr schätzten. Hardenberg “sieht aber wie ein Geisterseher aus, und hat sein ganz eigenes Wesen für sich allein, das kann man nicht leugnen. Das Christentum ist hier à l’ordre du jour; die Herren sind toll. Tieck treibt die Religion wie Schiller das Schicksal; Hardenberg glaubt, Tieck ist ganz seiner Meinung; ich will aber wetten was einer will, sie verstehen sich selbst nicht und einander nicht.”
Alfred Schlagdenhauffen hat diesen Jenaer Aufenthalt der Romantiker die eigentliche “Konstituierung der romantischen Schule” genannt: Die von Witz und Ironie belebten literarisch-philosophischen Diskussionen sollten weithin ausstrahlen und Wirksamkeit entfalten.


Die Frühromantik, deren Dauer von 1797 bis 1801, dem Tod von Novalis, zu datieren ist, hatte zwei sie prägende Köpfe, Friedrich Schlegel und Novalis-Hardenberg. Die romantische Art des Philosophierens haben diese beiden fast noch jugendliche Geister in einem dialogischen Verfahren entwickelt, das sie “Sym-philosophieren” nannten, das auch geeignet war gemeinsam zu dichten. Das Ergebnis nannten sie Symphilosophie oder Sympoesie. Ausgangspunkt ihrer Bemühungen um Originalität war die Philosophie Fichtes. Dem großen und bewunderten Vorbild bestritten sie den zentralen Lehrsatz, daß nämlich das absolute Ich sich selber setzen könne.


Die Romantiker leugneten jede letzte oder absolute Wahrheit. Wenn nur noch perspektivische Wahrheiten anerkannt werden können, dann kann jede Aussage als ironisch deformiert aufgefaßt werden. Daraus ergibt sich das Konzept der romantischen Ironie!


Der Dispens jeder absoluten Wahrheit bedeutet für den Romantiker rationale Beliebigkeit, sprich Irrationalismus! Nach Fichte ist es das Ich-Subjekt, was aus sich heraus die Welt der Sinnlichkeit erschafft. Die Romantiker folgen dem und fordern dazu auf, die Welt poetisch zu erdichten. Das Alltägliche soll sich ins Geheimnisvolle verwandeln, das Niedrige und Banale soll verzaubert und so zu etwas Erhabenem werden. Kurz, die Welt soll wieder Märchen werden!