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Hegels Philosophie

 

 

Mitte Oktober 1827 besuchte Hegel, auf der Rückreise seiner Parisfahrt, Goethe in Weimar. Es entwickelte sich später eine mehr oder weniger oberflächliche Freundschaft zwischen den beiden großen Geistern. Von Weimar aus fuhr Hegel weiter mit der Mietkutsche gen Berlin, in seiner Begleitung der Vertraute und Freund Goethes Karl Friedrich Zelter. Zelter hatte sich eine angenehme Konversation versprochen und wurde durch einen polternden Hegel überrascht, der unentwegt Kutscher und Gastwirte beschimpfte.

 

Brieflich beschrieb er Goethe die schlimme Reise, und Eckermann vermerkt unter dem 27. Oktober 1827, Goethe habe Hegel zu jenen Philosophen gezählt, die zwar Gott, Seele und Welt beherrschen, aber gegen die Bilden und Unbilden des Alltags nicht gerüstet seien. (Horst Althaus, Hegel und Die heroischen Jahre der Philosophie. Eine Biographie. München Wien: Hanser 1992, 487)

 

Entgegen Goethes Vorstellungen wollte Hegel auch gar nicht als Weltweiser erscheinen. Hegel war vor allem Philosophieprofessor und besaß keine - oder nur wenige - Allüren als Philosoph zu erscheinen. Besucher bei ihm waren enttäuscht, daß Hegel so durchschnittlich wirkte; andere bemängelten, daß bei einem Gespräch mit ihm auch gar keine geniale Bemerkung über seine Lippen kam. Seine Uneitelkeit hat Hegel im übrigen wohl eher Sympathien eingebracht, die Enttäuschten schickte er in den Hörsaal. Hegel philosophierte im Arbeitszimmer oder in der Universität. In der Freizeit war er passionierter Kartenspieler; als Musikliebhaber eilte er oft direkt von der Vorlesung zur nahe gelegenen Oper, er war ein Anhänger Rossinis und der italienischen Oper.

 

Diese berufsmäßige Einstellung zur Philosophie hat m.E. mit dem Inhalt des Hegelschen Denkens selbst zu tun. Hegel ist ein Philosoph, von dem gilt, daß er eigentlich immer nur einen einzigen Gedanken zu denken versuchte. Und dieser Gedanke lautet: Diese Welt ist rational!

 

"Der einzige Gedanke, den die Philosophie mitbringt, ist aber der einfache Gedanke, daß die Vernunft die Welt beherrsche ..." (Vorles. über die Phil. der Geschichte, 12,20 [zit. wird nach der Suhrkamp-Ausgabe]). An anderer Stelle lautet das so: "Das, was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das was ist, ist die Vernunft." (Grundlinien der Phil. des Rechts, 7, 26)

 

Hegel will sagen, daß wir die Wirklichkeit nur dann vernünftig begreifen, wenn wir sie als vernünftig begreifen. Die Übereinstimmung zwischen subjektiver Vernunft des Begreifens  und objektiver Vernünftigkeit des Begriffenen bezeichnet, was Hegels Philosophie verheißt: "die Versöhnung mit der Wirklichkeit". (Grundlinien 7,27)

 

Uns erscheint unsere Wirklichkeit nicht sehr vernünftig, sondern vielmehr höchst widersprüchlich. Und auch für den Philosophen Hegel selbst gilt das Defizit von Entfremdung und Zerrissenheit. Für Hegel sind wir und unsere Gegenwart eine Durchgangsstation auf dem Weg der Weltgeschichte und der zunehmenden Verkörperung des absoluten Geistes. Dieser Geist, der verantwortlich zeichnet für die rationale Genese der Wirklichkeit, ist eine dem Menschen überlegene Macht, dessen Absichten nicht vom Menschen abhängig sind.

 

Der Geist schwebt nicht wie ein Gespenst irgendwo umher, sondern muß sich körperlich verwirklichen. Es gibt keine Geister ohne Körper, auch für Hegel nicht.  Das Universum als Ganzes ist Verkörperung des kosmischen Geistes, der sich zunehmend und schließlich absolut verwirklicht. Geist ist das, was aller Wirklichkeit zugrunde liegt. Als Vernunft, die sich selbst erkennt, kann er sich nur im Menschen realisieren. Im und durch den Menschen erkennt der absolute Geist sich selbst. Es muß endliche Geister geben, denn nur durch diese ist Selbsterkenntnis für den kosmischen Geist möglich.

 

Jetzt sollen einige einführende Bemerkungen zum Hegelschen Vokabular folgen; Hegels philosophische Terminologie ist zwar vorwiegend eine deutsche, aber versteht sich mitnichten von selbst.

 

Jedes Stadium der Entwicklung des Geistes erstrebt die Identität der Identität mit der Nicht-Identität. Die Identität und ihr Gegensatz sollen miteinander versöhnt bzw. verbunden werden. Identisches und Nicht-Identisches geht aber nicht zusammen, es bleibt immer ein Widerspruch! Die erstrebte Identität des Identischen mit dem Nicht-Identischen gelingt nicht, sie scheitert immer wieder, aber auf immer höheren Ebenen. Sie gelingt erst, wenn der absolute Geist sich absolut verwirklicht hat.

 

Wir sollen uns also etwas denken, was zugleich es selbst ist und nicht es selbst! Das ist natürlich unmöglich, und Hegel wußte das, aber nur so sei das Absolute zu denken! Eine Zumutung also, aber die Alternative wäre Resignation gegenüber der Herausforderung, das Absolute zu denken!

 

Wenn das Ganze, das Absolute wirklich konkret, in seiner ganzen Wahrheit spekulativ gedacht werden soll, dann erscheint es widersprüchlich, es erscheint als Antinomie, als Widerspruch. Wer zugleich eine Identität und Nicht-Identität behauptet, der verstrickt sich in Widersprüchen, notwendigerweise. Hegel nennt dieses Denken spekulativ. Spekulation ist der Versuch, das Absolute zu denken! Die Alternative zum spekulativen Denken ist eben der Verzicht auf jeden Versuch, das Ganze zu denken.

 

Das Vermögen der Spekulation heißt Vernunft, ihr Vorgehen “Dialektik”! Das Erfassen der Identität der Identität und Nicht-Identität ist keine Sache der “intellektuellen Anschauung” (wie bei Fichte und Schelling), ist nichts Mysteriöses, sondern allein Sache der Vernunft, der dialektischen Vernunft. Dialektik ist die das spekulative Denken fortbewegende Kraft.

 

Warum überhaupt Dialektik? Für Hegel war es unbefriedigend, daß alle Philosophie und Wissenschaft immer nur einen Ist-Zustand beschreiben. Hegel will dagegen eine Philosophie des Werdens und dem Werden als ein Prozeß permanenter Veränderung will die Dialektik Rechnung tragen. Wenn diese Welt vernünftig ist, dann muß diesem Werden ein Ziel unterliegen. Und davon geht Hegel aus!

 

Diskrepanzen bzw. Widersprüche treiben den dialektischen Prozeß der Erfahrung von Wirklichkeit voran. Am Ende dieses Prozesses steht das absolute Wissen. Der Geist oder die Substanz aller Dinge ist am Ende das, was er in Wahrheit immer schon ist.

 

Sich derart als Teil eines großen Planes, eines Weltplanes zu wissen, heißt bei Hegel Versöhnung auch für den einzelnen Menschen, dessen Leben und Tod Teil eines höheren Planes ist und somit nie verloren und sinnlos sein kann.