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Die empiristische Philosophie von John Locke

 

John Locke gilt als der eigentliche Begründer des englischen Empirismus. Ich sage "eigentlich", weil auch Francis Bacon oder Thomas Hobbes gelegentlich als erste Empiristen gezeichnet werden. Wenn Locke im allgemeinen diese Würde zugesprochen bekommt, dann deshalb, weil seine Erkenntnistheorie elaborierter und durchdachter ist als die seiner Vorgänger.

 

"Empirismus" heißt jene philosophische Denkrichtung des 17. und 18. Jahrhunderts, für die alles Wissen mittelbar oder unmittelbar aus der Erfahrung stammt. Wir werden allerdings sehen, daß Locke selbst diese Lehre in äußerster Strenge gar nicht vertrat, sondern daß (wie für die Rationalisten) der Mensch auch gewisse Strukturen und Voraussetzungen mitbringt, die erst so etwas wie Erfahrung oder Wissen möglich machen. Daher wird Lockes Philosophie auch "rationalistischer Empirismus" genannt.

 

"Empirismus" als ein philosophiehistorischer Begriff ist erst zu Kants Zeiten, also im späten 18. Jahrhundert, entstanden und gängig geworden; Locke konnte daher diesen Begriff noch gar nicht kennen und verstand sich selbst folglich auch nicht als ein "Empirist".

 

Jedoch gab es zu Lockes Zeiten das Wort "empiric"; ein "empiric physician" war Angehöriger einer bestimmten Ärzteschule. Diese "empirics" verweigerten den Glauben an jede Theorie in der Medizin; die unmittelbare Auseinandersetzung mit der Krankheit, die vorbehaltlose Beobachtung ihrer Symptome sollte ausreichend Kenntnisse für deren Behandlung verschaffen.

 

Unser Begriff des "Empirismus" hat im ärztlichen "empiric" seinen Nukleus. Hier ist zu bedenken, daß auch Locke Arzt war, aber er und die medizinischen Größen seiner Zeit lehnten die "empirics" als Kurpfuscher ab: Jegliche Theorie bloß als Hindernis und Ballast anzusehen, das ging Locke denn doch zu weit. Seine Richtung ist es: Statt zu viel Theorie eher die Erfahrung sprechen lassen... Die Skepsis der Naturmediziner weist genau auf den Schwerpunkt der empiristischen Philosophie, wie sie Locke vertrat.

 

Natürlich orientierte sich auch John Locke an der neuen Philosophie, wie sie Descartes vertrat. Aber dieser ging ihm mit seinem Anspruch, eine Grundlage für alles menschliche Wissen zu schaffen, eine Grundlage, die nicht mehr zu bezweifeln sein sollte, viel viel zu weit. Auch die restlose Aufteilung aller Dinge in res extensa und res cogitans, in ausgedehnte und Denkdinge, bewies Locke, daß Descartes ein übermäßiges Vertrauen in die menschliche Erkenntniskraft steckte.

 

Locke war überzeugt davon, daß das menschliche Erkenntnisvermögen begrenzt ist! Die empiristische Philosophie Lockes ist vor allem das Resultat einer skeptischen Einkehr und eines großen Mißtrauens gegenüber all den angeblichen großen Wahrheiten, die am Ende nur geeignet sind, daß mit Berufung auf sogenannte absolute Wahrheiten Menschen andere Menschen bevormunden und unterdrücken! Locke wendet sich gegen alle, die immer schon wissen, noch bevor sie oder irgend jemand sonst die Sache untersucht haben.

 

Daher der Appell an die Erfahrung, die Aufforderung, sich selbst gefälligst zu überzeugen; doch Erfahrung eröffnet keinen Zugang zur absoluten Wahrheit.

 

Locke vertritt andererseits auch nicht einen radikalen Skeptizismus, der jegliche Wahrheit leugnet und jeglichen Erkenntnisgewinn bezweifelt. Locke plädiert für einen Mittelweg zwischen den permanenten zwanghaften Zweiflern und Traditionalisten, die Descartes bekämpfte, und dem forschen Glauben an eine profunde menschliche Wissensmächtigkeit, wie Locke sie bei Descartes selbst sieht.

 

Locke dämpft die metaphysische Euphorie der Cartesianer, indem er seine Frage stellt und diese in seiner Philosophie zu beantworten sucht: Was können wir überhaupt wissen bzw. was ist der Ursprung und der Umfang unseres Wissens? Mit einem gewissen Recht darf der Empirismus Lockes aus der Skepsis hergeleitet werden.