Nicolas Malebranche und George Berkeley
Die beiden Philosophen, die ich Ihnen heute vorstellen möchte, Nicolas Malebranche und George Berkeley, sind verrufen wegen der angeblichen Absurditäten, die sie vertraten. Beide kamen jedenfalls in ihren Überlegungen zu Resultaten, die dem gesunden Menschenverstand Hohn zu spotten scheinen.
Malebranche leugnet die natürliche Kausalität und Berkeley, noch verrückter, leugnet die Existenz der Materie! Beide waren Kleriker, Männer der Kirche also, und beiden ging es darum, den Atheismus und die noch stärker um sich greifende Gleichgültigkeit in religiösen Dingen zurückzudrängen; das Christentum sollte seine dominierende Stellung in allen Bereichen des öffentlichen wie privaten Lebens zurückerhalten.
Dabei waren weder Malebranche noch Berkeley Männer, die versuchten überkommene oder vorgestrige Meinungen zu indoktrinieren. Beide waren Anhänger des Descartes - Berkeley stand allerdings Locke noch näher - , beide waren entschiedene Gegner der Scholastik und der scholastischen Wissenschaftsauffassung. Beide begrüßten die moderne Naturwissenschaft, wie Galilei sie begründet hatte, aber sie glaubten fest daran, daß Christentum und neue Wissenschaft ohne große Probleme zu versöhnen seien.
Malebranche leugnet den Begriff der natürlichen Kausalität, d.h. er will sagen, daß bei allem, was kausal geschieht, Gott seine Hand im Spiel hat. Kausalität betrifft vor allem, aber nicht nur, die Sphäre der materiellen Dinge. Materie ist schon bei Malebranche zu einer bloß noch sekundären Substanz herabgestuft worden; sie ist nur noch “intelligible Anschauung”, wie es in seinem Vokabular heißt.
Berkeley hat Malebranche eifrig studiert und ist stark von ihm beeinflußt. Und er geht noch weiter! Er leugnet Materie überhaupt. Alles Sein versteht er als Sinnesempfindung. Alles, was ist, ist entweder Wahrgenommenwerden oder Wahrnehmung. Auf lateinisch: Esse est percipi oder percipere. Jedes Ding, jede Sache, jede Angelegenheit ist uns immer nur in Vorstellungen gegeben. Es ist unmöglich von einer Sache zu wissen, ohne sie zu denken oder wahrzunehmen oder vorzustellen. Hinter den Vorstellungen noch so etwas wie eine absolute Materie zu vermuten sei ganz überflüßig und resultiere aus bloßen Vorurteilen. Alles Sein ist daher ein Vorgestelltsein bzw. Wahrgenommenwerden. Daher kommt der Materie für Berkeley keine vom Bewußtsein unabhängige Existenz zu.
Zunächst werde ich auf Nicolas Malebranche eingehen. Malebranche gilt als Hauptvertreter des sog. Okkasionalismus. Was um alles in der Welt ist "Okkasionalismus"? Die zentrale These dieser philosophischen Richtung ist, daß kein Ding und kein Mensch in irgendeiner Weise selbst wirksam sein kann. Nur allein Gott verfügt über die Mächtigkeit, die Dinge der Welt und die Menschen zu verändern; nur allein Gott ist ursächlich und bei passender Gelegenheit (der causa occasionalis) tätig. Man sah in der Ursache, die ja etwas hervor- und zur Entwicklung bringt, selbst schon etwas Göttliches, weshalb weder dem toten Gegenstand noch auch dem Menschen eine solche Macht zugestanden wurde.
Auch im Verhältnis Geist und Körper ist Gott die wahre Ursache. Der Mensch ist nicht wirklich der Urheber einer Armbewegung, sondern es ist Gott, der die entsprechenden Gedanken des Menschen zum Anlaß, zur Gelegenheit nimmt, um die entsprechende Bewegung des Armes auszuführen. Der menschliche Geist ist nur scheinbar die Ursache der Körperbewegungen.
Die Okkasionalisten leugnen jegliche natürliche Kausalität. Nicht die toten Dinge, nicht die Menschen sind die Urheber von Wirkungen bei mechanischen Vorgängen; es gibt nur eine Ursache in der Welt, und diese heißt Gott. Das große Problem des Cartesianismus, die Frage nach der Wechselwirkung von Körper und Geist, wird von den Okkasionalisten also auf sehr eigene Art beantwortet. Aber diese Antwort, nämlich Gott als unermüdlich fleißigen Regisseur aller leibseelischen Wechselwirkungen einzuschalten, bedeutet, die beiden cartesischen Substanzen, eben Körper und Geist, zu demontieren und Gott zur alleinigen Substanz zu erheben. Malebranche wurde daher als Spinozist angesehen, doch er bemühte sich sehr, Distanz zu dem Holländer zu bewahren und auf Unterschiede aufmerksam zu machen.
Neben Malebranche gab es noch andere Cartesianer, die okkasionalistische Gedanken entwickelten; nicht zuletzt deshalb, weil das unübersehbare cartesische Leib-Seele-Problem eine tragfähige Lösung erheischte. Der erste von Descartes ausgehende okkasionalistische Denker, den ich hier zumindest erwähnen will, war ein Deutscher, nämlich Johannes Clauberg (1622-1665), an der Universität Duisburg lehrend; schon zu Lebzeiten des Descartes, in den 1640er und 1650er Jahren, entwickelte er erste Ansätze okkasionalistischer Theoriebildung. Der bedeutendste Denker dieser Richtung neben Malebranche war der Holländer Arnold Geulincx (1624 - 1669)!