Kontakt: juergen.rixe@yahoo.de

Schopenhauers pessimistische Philosophie

 

 

 

Wer heute von einem Exzentriker spricht, der denkt zumeist an den Typus des spleenigen Engländer. Die weltweite Übermacht der anglo-amerikanischen Kultur läßt leicht vergessen, daß es auch eine typisch deutsche Erscheinungsweise von Exzentrik gibt: Das ist der Sonderling!

 

Literarisch unsterblich gemacht wurde die Figur des Sonderlings in Novellen Gottfried Kellers oder Wilhelm Raabes, vor allem die skurrile Gestaltenwelt von E.T.A. Hoffmann bietet eine bemerkenswerte Auswahl sonderbarer Existenzen. Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied zum englischen Exzentriker: Während der Engländer seinen Spleen nach außen kehrt und darauf wie auf einen Orden stolz ist, leidet der deutsche  Sonderling an seinem Sonderlingstum. Er leidet an sich, und er leidet an der Welt.

 

Arthur Schopenhauer verkörpert den deutschen Sonderling in nahezu idealer Weise. Sein ganzes Leben verlief buchstäblich exzentrisch, d.h. außerhalb der üblichen Kreise. Eine Schule hat Schopenhauer nur kurze Zeit besuchen müssen, einen Beruf übte er nie aus, denn seinen Lebensunterhalt mußte er nicht verdienen. Durch Erbschaft war er schon als junger Mann vermögend und auf keine Anstellung angewiesen. In selbstbewußter Unabhängigkeit höhnt er über die sog. "Brotgelehrten", Professoren, die für Geld philosophieren.

 

Für einen Menschen, der seinen Lebensunterhalt erkämpfen muß, stellt sich die Frage nach dem Sinn des Lebens meistens gar nicht oder allenfalls sonntags. Schopenhauer war zeitlebens von der existentiellen Sorge um das Dasein entlastet; gerade deshalb aber wurde es zur Herausforderung seines Lebens, einem Sinn in diesem Dasein nachzuforschen, in einem Leben, in dem er aber eben keinen Sinn erkennen konnte, das sich vielmehr für Mensch und Tier als mehr oder weniger dramatische Leidensgeschichte darstellt.

 

Bis einschließlich Hegels gehörte es zu den Grundüberzeugungen abendländischer Philosophie, daß diese Welt in ihrem Wesen vernünftig sei. Schopenhauer bezieht hier ausdrücklich die Gegenposition: In ihrem Innersten ist diese Welt völlig irrational! Mit Schopenhauer beginnend wird von nun an das Blinde, das Unbewußte, das Irrationale zunehmend für die gesamte Wirklichkeitserfahrung von Bedeutung sein.

 

Voraussetzung für Schopenhauers Leugnung der Vernünftigkeit der Welt ist sein entschiedener Atheismus (kein Gott - kein Plan!), die konsequente Folgerichtigkeit daraus besteht in Schopenhauers ebenso entschiedenem Pessimismus! Alles, was wir Menschen in unserem Leben erreichen können, ist letztlich nur überflüssig, eitel und töricht. Das Hauptargument aber für Schopenhauers Weltverneinung ist das Leiden jeder lebendigen Kreatur. Alles Leben entpuppe sich, nahe besehen, eigentlich nur als ein ununterbrochenes Leiden! (Die Welt als Wille und Vorstellung, I, § 56, letzter Satz; A. Schopenhauer, Sämtliche Werke, hgg. von Wolfgang v. Löhneysen, Darmstadt 1968)

 

Der jedem gewisse Tod ist für Schopenhauer der wahre inspirierende Genius der Philosophie. Das Wissen um den Tod und neben diesem die Betrachtung des Leidens und der Not des Lebens, ist es, was den stärksten Anstoß zum philosophischen Besinnen und zu metaphysischen Auslegungen der Welt gibt. Wäre das Dasein schmerzlos, niemand würde sich Gedanken darüber machen, alles würde sich von selbst verstehen. (W.a.W.u.V II, Kap. 17, hgg. Lütkehaus, Zürich 1988, Bd. 2, S.186)

 

Der leidende Mensch empfindet sein Leiden, auch wenn er niemanden dafür verantwortlich zu machen weiß, als ungerecht, so als könne der vom Leben, in das er ohne seinen Willen und ohne sein Zutun hineingeworfen wurde, Gerechtigkeit erwarten. Aber nicht die Gerechtigkeit ist das Selbstverständliche in dieser Welt, sondern ihr Gegenteil, die Ungerechtigkeit. Ungerechtigkeit ist die erwartbare Norm, Gerechtigkeit dagegen ist die seltene Ausnahme. Denn das Wesen der Welt ist nicht das Gute, sondern das Böse! Sie ist die schlechteste aller möglichen Welten: wäre sie noch ein wenig schlechter, so könnte sie schon nicht mehr bestehen.

 

In dieser unserer betrüblichen Welt leben beständig bedürftige Wesen, die bloß dadurch, daß sie einander auffressen, eine Zeitlang bestehen, die ihr Dasein unter Angst und Not durchbringen und oft entsetzliche Qualen dulden müssen, bis sie endlich dem Tod in die Arme stürzen. Dasein bedeutet vielerlei Leiden und beständigen Kampf, jeder ein Jäger und jeder gejagt. Das Leben sieht Schopenhauer als ein Geschäft, dessen Ertrag die Kosten nicht deckt. (Der Handschriftliche Nachtrag, Bd. IV, 1, hgg. v. A. Hübscher, Frankfurt am Main 1974, S. 260) Das Beste am Leben, diesem fortgesetzten Betrug, scheint noch seine Kürze zu sein, denn das Leiden ist dem Leben so wesentlich, daß eine Verlängerung nur eine Verlängerung des Leidens sein kann.

 

In den folgenden Zitaten soll der beklemmende und radikale Pessimismus Schopenhauers noch ein wenig eingehender illustriert werden; diese kurzen Textabschnitte sollen auch einstimmen auf seine schwermütige Denkweise. "Sehn wir es nun aber auch von der physischen Seite an; so ist offenbar, daß wie bekanntlich unser Gehn nur ein stets gehemmtes Fallen ist, das Leben unsers Leibes nur ein fortdauernd gehemmtes Sterben, ein immer aufgeschobener Tod ist: endlich ist eben so die Regsamkeit unsers Geistes eine fortdauernd zurückgeschobene Langeweile. Jeder Athemzug wehrt den beständig eindringenden Tod ab, mit welchem wir auf diese Weise in jeder Sekunde kämpfen, und dann wieder, in größern Zwischenräumen, durch jede Mahlzeit, jeden Schlaf, jede Erwärmung u.s.w. Zuletzt muß er siegen: denn ihm sind wir schon durch die Geburt anheimgefallen, und er spielt nur eine Weile mit seiner Beute, bevor er sie verschlingt." (W.a.W.u.V. I, § 57, Löhneysen S. 427)

 

"Das Leben, mit seinen stündlichen, täglichen, wöchentlichen und jährlichen, kleinen, größern und großen Widerwärtigkeiten, mit seinen getäuschten Hoffnungen und seinen alle Berechnung vereitelnden Unfällen, trägt so deutlich das Gepräge von etwas, das uns verleidet werden soll, daß es schwer zu begreifen ist, wie man dies hat verkennen können und sich überreden lassen, es sei da, um dankbar genossen zu werden, und der Mensch, um glücklich zu seyn. Stellt doch vielmehr jene fortwährende Täuschung und Enttäuschung, wie auch die durchgängige Beschaffenheit des Lebens, sich dar als darauf abgesehn und berechnet, die Ueberzeugung zu erwecken, daß gar nichts unsers Strebens, Treibens und Ringens werth sei, daß alle Güter nichtig seien, die Welt an allen Enden bankrott, und das Leben ein Geschäft, das nicht die Kosten deckt; - auf daß unser Wille sich davon abwende."  (W.a.W.u.V. II, § 46, Löhneysen S. 734)

 

 

"Die Wahrheit ist: wir sollen elend seyn, und sind's. Dabei ist die Hauptquelle der ernstlichsten Uebel, die den Menschen treffen, der Mensch selbst: homo homini lupus. Wer dies Letztere recht ins Auge faßt, erblickt die Welt als eine Hölle, welche die des Dante dadurch übertrifft, daß Einer der Teufel des Andern seyn muß; wozu denn freilich Einer vor dem Andern geeignet ist, vor Allen wohl ein Erzteufel, in Gestalt eines Eroberers auftretend, der einige Hundert Tausend Menschen einander gegenüberstellt und ihnen zuruft: 'Leiden und Sterben ist euere Bestimmung: jetzt schießt mit Flinten und Kanonen auf einander los!' und sie thun es. - Ueberhaupt aber bezeichnen, in der Regel, Ungerechtigkeit, äußerste Unbilligkeit, Härte, ja Grausamkeit, die Handlungsweise der Menschen gegen einander: eine entgegengesetzte tritt nur ausnahmsweise ein." (W.a.W.u.V. II, § 46, Löhneysen S. 739f.)

 

"Und dieser Welt, diesem Tummelplatz gequälter und geängstigter Wesen, welche nur dadurch bestehn, daß eines das andere verzehrt, wo daher jedes reißende Thier das lebendige Grab tausend anderer und seine Selbsterhaltung eine Kette von Martertoden ist, wo sodann mit der Erkenntniß die Fähigkeit Schmerz zu empfinden wächst, welche daher im Menschen ihren höchsten Grad erreicht und einen um so höheren, je intelligenter er ist, - dieser Welt hat man das System des Optimismus anpassen und sie uns als die beste unter den möglichen andemonstriren wollen. Die Absurdität ist schreiend." (W.a.W.u.V. II, § 46, Löhneysen S. 744)

 

"Das Leben der allermeisten ist auch nur ein steter Kampf um diese Existenz selbst, mit der Gewißheit ihn zuletzt zu verlieren. Was sie aber in diesem so mühsäligen Kampfe ausdauern läßt, ist nicht sowohl die Liebe zum Leben, als die Furcht vor dem Tode, der jedoch als unausweichbar im Hintergrunde steht und jeden Augenblick herantreten kann. [...]  Was alle Lebenden beschäftigt und in Bewegung erhält, ist das Streben nach Daseyn. Mit dem Daseyn aber, wenn es ihnen gesichert ist, wissen sie nichts anzufangen: daher ist das Zweite, was sie in Bewegung setzt, das Streben, die Last des Daseyns los zu werden, es unfühlbar zu machen,'die Zeit zu tödten', d.h. der Langenweile zu entgehn." (W.a.W.u.V. I, § 57, Löhneysen S. 429)