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Über die angebliche Unmündigkeit der großen Menge  (Materialien)

 

(„Unmündigkeit ist die brave Tugend des Untertans!“)

 

 

"Das Merkwürdige aber ist, daß die Philosophie insgesamt eine Tendenz hat, die Vernunft, die ihr eigenes Prinzip ist, gleichzeitig auch zu verleumden." Adorno, Philosophische Terminologie (Suhrkamp) II 112.

 

Für die alte griechische Philosophie war die Trennung in die Weisen und die Toren ganz selbstverständlich. Für Platon läßt sich das belegen mit seinem formelhaften Begriff hoi polloi, die Vielen, und damit sind die Unwissenden gemeint. Für alle Geheimkulte, insbesondere die Pythagoreer, ergab sich diese Trennung schon aus ihrem Begriff von Weisheit, Philosophie, die eine wesentlich exklusive Lehre, Esoterik, sein sollte. - Der Unterschied zum heutigen Philosphieverständnis liegt darin, daß die Inhalte dieser Lehre als quasi "fertig" und vollendet angesehen wurde, während im modernen Selbstverständnis  Philosophie exoterisch präsentiert wird, damit sie von allen diskutiert werde, damit sie sich entwickele und vollende. Jedoch ist Philosophie heute Sache der Spezialisten, der Berufsphilosophen und Fachweisen, während früher Weisheit wegen seines anziehenden esoterischen Charakters von vielen Interessierten diskutiert wurde. Und die unwissenden Toren, das sind und waren immer "die anderen"!

 

Als Philosoph sah Platon die Pflicht das Staats- und Gesellschaftsleben autoritär umzugestalten. Die Kunst als Gefahr fürs Volk, wobei er selbst sich durchaus an Künstlerischem berauscht (Phaidros, Wahn). Bei Platon bedeutet mimesis ganz wörtlich Nachbildung (anders bei Aristoteles z.B. in der Poetik), s. Staat III, 401c; s.a. Soph. 236a (Künstler stellen nicht Wahrheit dar), 2. Buch der Gesetze, Kunst als Nachbildung 668cff. Ingemar Düring, Aristoteles. Darstellung und Interpretation seines Denkens, Heidelberg: Winter 1966, 165-167

 

Umgekehrt erachteten auch die einfachen antiken Menschen die Philosophen für ihr eigenes Leben durchaus als unzuständig, nicht nur weil sie die Lehrinhalte nicht teilten, sondern wegen Versponnenheit und unpragmatischer Realitätsferne. Der Topos ist alt und reicht bis auf den ersten der griechischen Philosophen zurück, auf Thales, der in den Himmel schauend in einen Brunnen fällt und obendrein von einer Magd ausgelacht wird. Auf römischen Grabinschriften liest man Sätze wie "Niemals folgte er den Lehren eines Philosophen" oder "Ganz allein erkannte er die ehrwürdigen Wahrheiten".(Vgl. P. Ariès, G. Duby, Geschichte des privaten Lebens, Bd. 1, Fft.M. 1989,176) Darin offenbart sich nun keineswegs eine Verachtung geistiger Kultur, sondern ein Anspruch auf intellektuelle Emanzipation gegenüber den Berufsphilosophen: Man bedarf nicht notwendig der akademischen Philosophie, um selbst als Philosoph leben zu können.  Jene Universitätslehrer (nicht nur diese), die heute eine positive oder negative Auffassung von Abtreibung doktrinieren, versuchen den Frauen, für die sich das Problem stellt, die Einscheidung zu ersparen, und das wird durchaus als Eingriff in die eigene Handlungshoheit verstanden.

In der griechisch-römischen Welt waren die 'Heiligen Worte' der Mysterien vor der profanen Menge verborgen und nur einem kleinen Kreis der Mysten bekannt. (Vgl O. Perler Arkandisziplin: RAC(Reallex. für Antike und Christentum 1,1950,667-76; A. Henrichs Die Phoinikika des Lollianos. Papyrol. Texte u. Abh. 14, Bonn 1972,41f, 60f., zum hieros logos bes.S.61 Anm.27) In Rom wurden die staatlich anerkannten Sibyllinischen Orakel streng geheimgehalten. (Justin: Lektüre der der Sibyllen bei Todesstrafe verboten, vgl. Blumenb.Matthäusp.1988,267; Cic.div.2,112; Lact.div .inst.1,6,13[CSEL 19,1,22]; A. Rzach, Sibyllinische Orakel:  RE 2 A, 2 ,1923, 2107,30/45.) Sie waren heilige Schriften und als solche nur für bestimmte Personen zugänglich.  Vgl. Wolfgang Speyer, Büchervernichtung...  Stuttgart 1981, 28f.

 

Wie Platon glaubte auch Aristoteles, daß jemand, der sich für seinen Lebensunterhalt abrackern muß, seine Geistes- und Seelenkräfte nicht entwickeln könne, die zur Staatsführung erforderlich seien. Aristoteles,Politik 1278a3. Nur wer sich ausschließlich um die Tugend (arete) bemühe, sei zur Leitung geeignet. 1329a5. Aristoteles konstruiert einen Gegensatz zwischen banausia und paideuia, zwischen Handarbeit und Geistesbildung (1317b40), weiß aber doch, daß in Demokratien Arbeit politisch keineswegs disqualifiziert. Bis Plutarch hielt sich die Verachtung für die Unterschichten, der in seiner Perikles-Vita (8) erklärt, wer ein niederes Handwerk betreibe, zeige damit, daß ihm das Gute und Schöne nichts bedeute, denn er wende seine Mühe auf unnütze Dinge. Vgl. Alexander Demandt, Siben Siegel. Essays zur Kulturgeschichte, Köln Weimar Wien: Böhlau 2005, 298

 

Edgar Wind (Heidnische Mysterien in der Renaissance, Frankfurt/Main 1981, s. S. 22, 27, 159, 218f, 294, 322, 326) hat sich dieses Themas mit besonderer Sorgfalt angenommen: Für den Humanisten mußten die Mysterien dunkel sein, durften nicht an uneingeweihte Ohren dringen, etc.

 

Hier konnte man sich an Macrobius orientieren, der meinte, daß "der Natur eine freimütige, offene Preisgabe ihrer selbst zuwider" sei. "Man könnte auch hinzufügen, daß eine moralische Botschaft, wenn sie banal ist, versteckt werden muß, um sie interessant zu machen; und daß die allegorische Denkweise ein zentrales Merkmal der spätmittelalterlichen Kultur war und nicht mit einem Schlag abgelegt werden konnte..." Peter Burke, Die Renaissance in Italien. Sozialgeschchte einer Kultur zwischen Tradition und Erfindung, München 1988, 193.

 

Nur eine Minderheit von Italienern in der Renaissance hatten eine Lateinschule besucht und jenen fiel es nicht schwer, Szenen aus der alten Geschichte oder der klassischen Mythologie wiederzuerkennen. Daher konnte das Publikum in "die breite Masse" und "jene, die verstehen" eingeteilt werden. Doch zu denen, "die verstehen", dürften selbst nicht viele Künstler gezählt haben, denn auch von jenen hatte nur ein geringer Teil eine Schule besucht. P. Burke, a.a.O. S. 205.

 

Ein weiteres Motiv der Geheimhaltung ist Schutz der Unmündigen. In unserer Gesetzgebung gibt es einen Jugendschutz. Als unmündig wurden aber immer wieder auch Erwachsene angesehen. Esra will die apokalyptischen Bücher nur den Weisen zur Kenntnis bringen. (4 Esra 14, 21/48; vgl. Speyer S. 114) Proklos möchte lieber alle frühere Literatur vernichtet sehen, außer den chaldäischen Orakeln und Platons Timaios, als daß sie von der jetzigen Generation planlos und ohne Prüfung zur Kenntnis genommen werden, denen es dann auch schade. (Marin. vita Procl. 38, 30 Boissonade. Vgl. Speyer S. 106f. Ferner: Beutler, in: RE 23, 1, 1957,186/247, bes. 189.

 

Ausschlaggebend zuletzt, bis heute, aber ist der Gedanke der Kontrolle: Aufklärung hin, Aufklärung her, dem Volk mußte die Religion erhalten bleiben. Der gesellschaftspolitische Vorteil liegt schließlich auf der Hand. Das war auch Voltaires Meinung, so militant antiklerikal er sich in seinen Schriften auch gab. In Ferney bei Genf, wo Voltaire die letzten Lebensjahrzehnte als Unternehmer in der Uhrenindustrie verbrachte, ließ er für seine Dörfler sogar eine Kirche errichten. An eine Hölle glaubte Voltaire nicht. Aber er wollte den Arbeitern in seinem Werk notfalls "in die Ohren schreien, daß sie zur Hölle fahren würden, wenn sie mich bestehlen". Um sein Eigentum vor Spitzbuben zu sichern brauchte er daher den Pfaffen. Vgl. Arnulf Zitelmann, Nur daß ich ein Mensch sei. Die Lebensgeschichte des Immanuel Kant, Weinheim und Basel: Beltz 1996, 248.

 

Voltaire und Bolingbroke lehrten die Vernunftreligion für die Oberschicht, den Kirchenglauben für die Masse. Bernhard Gajek, Sprache beim jungen Hamann, Bern: Herbert Lang 1967, 63.

 

Der Philosoph und Ökonom Adam Smith schreibt 1768 in seiner Staatslehre, “es kommt darauf an, die Einzelindividuen so zu lenken, dass diese dem Fortschritt der Gesamtheit dienen.”

 

Auch bei Kant findet sich die reinliche Scheidung zwischen reiner Wissenschaft und "Volkslehre", freiem Denken und landesherrlichen Bestimmung; schon in seinem Aufsatz über Aufklärung hatte er sie als notwendig bezeichnet, ebenfalls in seiner "Religion". Vgl. Karl Vorländer, Immanuel Kant. Der Mann und das Werk, 2. Aufl., Hamburg: Meiner 1977 (1. Aufl. 1924), II, 202.

 

Damit in Verwandtschaft steht das Bemühen mittelalterlicher Gelehrter, das "gemeine Volk" von ihrer Lehre auszuschließen, verschworene Gemeinschaften zu bilden, wo mehr gesagt werden durfte, als allgemein und unter Androhung der Inquisition ratsam war. "Geheimlehren" zu pflegen, "heimliche Disputationen" abzuhalten, galt schon in der Zeit des Berengar von Tours als Häresieverdacht. H. Fichtenau Ketzer und Professoren. Häresie und Vernunftglaube im Hochmittelalter München 1992, 259

 

Der hippokratische Eid, mißverstanden als großartiges Dokument einer ethischen Prinzipien verpflichteten Medizin, war eigentlich ein Manifest für den Schutz des geheimen Wissens einer Gilde und für die Weitergabe der Kenntnisse an ausgewählte Eingeweihte. Stephen Jay Gould, Die Lügensteine von Marrakesch. Vorletzte Erkundungen der Naturgeschichte, Frankfurt am Main: Fischer  2003, 388.

 

Stoa: Es gibt zwei Arten von Menschen, gute und schlechte. Schon bei Zenon und anderen Stoikern, s. Pohlenz, Stoa und Stoiker, Artemis 1964, 162ff.

 

In der Schule des Epikur galt die Volksmeinung offenbar recht viel. Von Hermarch (etwa 325-250), der nach Epikurs Tod die Schulleitung übernahm, besitzen wir Reste einer Schrift "Über die unvernünftige Verachtung der Volksmeinung". (M. Hossenfelder, Epikur 1998, 2.A., 141); s. Literaturangaben in: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Neue Ausgabe. Die Philosophie der Antike Band 4. Die Hellenistische Philosophie. Von Michael Erler u.a. Herausgegeben von Hellmut Flashar Basel 1994, 227ff.

 

Cicero billigt die Täuschung des Volkes durch Gewährung einer Scheinfreiheit, da ihm die Menge wahrhafter Vernünftigkeit und Freiheit unfähig erscheint. Vgl. De Nat. Deor. 3,25; De Div.2,12,28; 2,33,70; 2,72,148; De Leg.2,7,15f.; 3,12,27f. u.ö.- S.a. Ueberweg Bd.1,1953,S.475

 

Epiktet soll nur aus Rücksicht auf die Schwachheit der Menge den relig. Kultus ausgeübt haben, weil dieser eben einen gewissen sittlichen Halt gewähre. Zeller III 1, 312 (Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung III. Teil, Erste Abteilung, Hildesheim: Olms 1963). Der wichtigste Kommentator Epiktets, Adolf Bonhöffer, leugnet diese Auslegung; ganz im Gegenteil scheint das religiöse Interesse, auch das im Sinne der Volksreligion, bei Epiktet durchaus echt gewesen zu sein. A. Bonhöffer, Die Ethik des Stoikers Epiktet 1894, 76.

 

Zur "pia fraus":

 

In seinem Staat, der Politeia, gestattet Platon den Herrschenden die pia fraus gegenüber den Beherrschten. Vgl. dazu Crescenzo, Luciano de, Geschichte der griechischen Philosophie. Die Vorsokratiker - Von Sokrates bis Plotin, zwei Bände in einem Buch, Zürich Diogenes: 1985, 1988, 317.

Lügen seien erlaubt, wenn sie einem edlen Zweck dienen. Vgl. Pol. 449c-468c.

 

Theon definierte den Mythos als Aeine lügnerische Rede, die die Wahrheit abbildet@ (Progymnasmata III, zit. von F. Cumont, Recherches sur le symbolisme funéraire des Romains, 1942, p. 3; siehe auch Macrobius, Somnium Scipionis I, ii, 7, Amodus per figmentum vera referendi@). Vgl. Edgar Wind, Heidnische Mysterien in der Renaissance, Frankfurt/Main 1981, S. 271f.

 

Nach Epiktet erlauben die Philosophen die (Not-) Lüge. Diatr. IV 6, 33.

 

Einige Stoiker hatten bereits eingeräumt, daß es für die Menge sei es besser, etwas zu glauben, als dem Skeptizismus zu verfallen... Ähnlich wie Pythagoras oder seine Anhänger unterschieden z. Mathematikern (die die ganze Lehre verstehen) und den Akusmatikern, die nur über eine einfache Kenntnis der Lehre verfügen, unterscheidet Origenes zwischen den Pistikern (die über den bloßen Glauben nicht hinausgelangen) und den Gnostikern (die zu einem rationalen Verständnis des Christentums gelangen). Die Pistiker können durch den Glauben sittlich gebessert werden und sogar glückselig werden. Aber im Grunde ist diese Stufe für Origenes eine, die überwunden werden sollte.  Franz Schupp, Geschichte der Philosophie im Überblick, Bd.2, Christl. Antike Mittelalter, Hamburg: Meiner 2003, bes. 3-39, 33f.

 

Hierher auch sozialrevolutionäre utopistische Täuschungen (hier kann man mit Fug und Recht bei Platon beginnen); Thorwald Dethlefsen und Castaneda als moderne Fälle einer relig. Täuschung! Nicht Nietzsches Definition des Menschen als eines Wesen, das des Betrugs bedarf ! vergessen... Siehe Platon Politeia 414b.

Gallionsfigur der "pia fraus" ist aber Aristobulos, der um 165 v. Chr. in Alexandrien lebte. Er versuchte durch allegorische Deutung griechischer Philosophen sowie durch Textfälschungen den Nachweis zu führen, daß die griechische Philosophie in ihren besten Köpfen sich aus der jüdischen Überlieferung herleite: Pythagoras, Sokrates, Platon seien von den mosaischen Lehren abhängig. Er verbreitete die Erzählung, daß das Alte Testament in wichtigen Teilen schon frühzeitig übersetzt gewesen sei; diese Auffassung machten sich christliche Theologen zunutze, um die Lehren der griechischen Philosophie zu vereinnahmen und um ihr den heidnischen Charakter zu nehmen. (O. Stählin, s. Christ-Schmid Gesch. d. gr. Lit. II 6, 605, 3; Ziegenfuß I 37).

 

Celsus (um 180) spricht der christlichen Lehre jede Originalität ab und erklärt ihre weite Verbreitung mit geistiger Primitivität der ungebildeten Masse ("Prüfet nicht, sondern glaubet!") Vgl. Austeda Lex. der Phil. 1989

 

Marcion, s. Harnack , Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott, Leipzig 1921: Gläubige und Katechumenen, letztere durften heiraten bzw. in der Ehe leben. Gläubigen war Geschlechtsverkehr und Fleischgenuß untersagt (186f). Mit Martyrium sollte der Schöpfergott, der böse Gott, geärgert werden: kein Fleisch kein Wein, Enthaltung in jeder Hinsicht.(187) Die so leben sind Übermenschen , "den Menschen in sich betrachten sie als Feind", Carmen Pseudotert. ad Marc. V 90 (188). Sie sollen sich das Elend und den Haß in der Welt zuziehen! Aber Unterscheidungskriterium der beiden Klassen ist nicht nur die Askese, sondern auch das Wissen um Erlösung (211), nämlich wie und wodurch Christus die Menschen vom Schöpfer erkauft hat, nämlich durch seinen Opfertod, "das wissen nicht alle"!

 

Gnosis, gängige Unterscheidung der Electi und der Katechumenen, wobei die letzteren der Anleitung bedürtig angesehen wurden.(Vgl."Die Gnosis", Band über Mani,S.38 u.66) - "Wenn jemand Gnosis hat, ist er ein Wesen, das von oben stammt!" D.h. es ist ein Auserwählter! Nag Hammad Codex I 3;22,1ff. - Pneumatiker und Psychiker: Was für jene erlaubt, ist für diese verboten, s. Die Gnosis, Bd. 1 (Förster) Stgt.Zür. 1969,402 (Quod licet jovi non licet bovi, vgl. Simmel über den Adel!) - Arno Borst, Die Katharer  1953, Monumenta Germ..hist.19: Geschöpfe des bösen Gottes, Geschöpfebdes guten Gottes (Engelsseelen). - Als eien Art Prinzip des mythisch-magischen Denkens versteht Cassirer diese Einteilung der Welt in zwei scharf geschiedene und gegensätzliche Hälften: der Klasse der Auserwählten steht die "massa perditionis" gegenüber. Und auch der religiöse Mythos schafft sich seine Form und die heißt immer auch  Scheidung und Teilung. Cassirer, Wesen des Symbolbegriffs, Darmstadt 1969

 

Zur Gnosisgeschichte: Schon die Sekte von Qumran vertrat einen massiven Dualismus, zwischen Auserwählten und Unwissenden unterscheidend, auch eine Vorstellung von der erlösenden Kraft des Wissens ist nachweisbar, vgl. Michael Pauen Dithyrambiker des Untergangs. Gnostizismus in Ästhetik und Philosophie der Moderne Berlin 1994, 27 - Für die Lehre der Gnostiker und ihre modernen Adepten gilt: Nur einem kleinen Teil der Menschheit sei die Wahrheit zugänglich, diesem allerdings aus eigener Einsicht und Machtvollkommenheit. (Corpus Hermet. XIII, 15) Auch die Kirchenväter beharren darauf, daß Gottes Ratschlüsse den Schafen seine Herde nun einmal unverständlich seien. Die Auserwählten besitzen im Gegensatz zur Mehrheit der Unwissenden nicht nur aktuell die wahre Erkenntnis, sondern haben auch grundsätzlich nur die Möglichkeit, diese jemals zu erlangen; denn sie haben teil am göttlichen Licht (pneuma). Damit gehören sie dem Reich des transzendenten Erlösergottes an.  "...nur eine kleine Zahl..., die ein Bruchstück des Verstandes und den Gedanken des Lichtes vom Geiste besitzen." (Paraphrase des Shem NHC VII 34, 32-35, 5) - Der auserwählte Gnostiker ist folglich zur Selbstermächtigung des erkennenden Subjekts legitimiert (Pauen, a. a. O. S. 38): "Die dualistische Antithese zwischen dem schlechten Bestehenden und dem pneumatischen 'Selbst' erlaubt es dem gnostischen Denken, sich über die Unwissenden zu erheben: Wer ihm widerspricht, wird gleichzeitig zum Parteigänger der Gewalten der Finsternis, deren perfiden Plänen er aufsitzt." (Zur Selbstermächtigung s. Pauen u. a.  S. 36, 38, 50, 56, 58, 76, 96, 107, 217 u. 244 (zu Bloch), 274, 315 (zu Heidegger: Selbstermächtigung dient der Immunisierung gegen Kritik; vgl. Krockow Die Entscheidung S. 72), 374 (Adorno); im Ggs. zu Demut Meister Eckharts 54: die Gerechten haben überhaupt keinen Willen; was Gott will, das gilt ihnen alls gleich...Dt. Pred., Quint München 1955, 183, vgl. 304f.)

Drei Kriterien für die Vergleichbarkeit der antiken und der modernen Gnosis bei Pauen (S. 39): 1. Ablehnung der Öffentlichkeit (Verblendungszusammenhang in der Antike) 2. Fortschrittskritik (das Böse ist metaphys., nicht histor. Natur; folglich kann keine hist. Zeit Erlösung bringen) 3. Erkenntnis-, Wissenschaftskritik (Ablehnung szientifischen Wissens [es gab in der Antike keinen Szientismus, folglich auch keinen Anti-Szientismus, vgl. Pauen 39, 94])

Empörung gegen die Bedingungen des Daseins, ein Protest gegen das Sein überhaupt machen ein wichtiges Element gnostischen Denkens aus. Gerade dieses Element legitimiert die Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Schöpfer und die Selbstermächtigung des gnostischen Menschen in einer eigenen statuierten Gotthaftigkeit. Vgl. Pauen, a.a.O., S. 57, 76

Typisch für die Gnosis ist auch die Täuschungsfigur: Wer sich täuschen läßt, damit der Verblendung der Welt verfallen ist, zeigt schon ausreichend, daß er zu den minderwertigen Menschen gehört, daß eine weitere Auseinandersetzung damit sich erübrigt, vgl. Pauen 38, 76, 92, 191

Signifikant ist, daß die Gnostiker immer wieder auf ihre eigen Überlegenheit hinweisen, immer wieder erklären, warum ihr Wissen nicht der Mehrheit zugänglich sei, um so ihre eigene Minderheitenposition zu begründen. (Pauen 44)

 

Gnosis und Libertinismus: Für die Psychiker sei Enthaltsamkeit und gute Taten notwendig, für die Vollkommenen, die Pneumatiker, dagegen nicht! (Clem.Alex. Strom.III 4,' 30,1,vgl.Die Gnosis (Förster) Bd.1,402 s.: Text) Jene können sich sogar Zuchtlosigkeit als Verdienst anrechnen, vgl. Jonas, Gnosis und spätantiker Geist bd. 1, 1934,234 s. Text. Die Vollkommenen können tun, was sie wollen, sie können ihrer Seele nicht schaden. Daraus ergibt sich ein Libertinismus für die führenden Gnostiker: Sie "dienen maßlos den Lüsten des Fleisches"...(a.a.O. 235). Auch Valentinian und die Kainiten besaßen hatten ihre Begründung für den Libertinismus (vgl.S.237 Text). Er ist die Kehrseite und die gleichberechtigte Alternative zur Askese: Mit beiden Wegen soll der Schöpfergott geschädigt werden. - Auch G. Scholem bietet in seiner Kabbala-Geschichte zahlreiche Hinweise auf den Libertinismus, insbes. vgl. zu Sabbatai.

 

 

                            Verdammung                            Rettung

                                                                            Allbeseeligung

 

aller                      Schopenhauer,                          Origenes (Verbindung

Menschen             Mainländer,                               mit Lehre von der ew.

                             Seidel                             Wiederkehr des                                                                                                   Gleichen: Vico,

                                                                             Nietzsche, Spengler,

                                                                             Hegel)

 

nicht aller               Augustinus                               Augustinus

Menschen

 

Ernst Staehelin, Die Wiederbringung aller Dinge, Basel 1960. Vor der Apokatastasis ist alles Wissen Stückwerk (Paulus), s.S.42; Lehre der Apokatastasis auch bei Nestorianern, insbes. Theodor von Mopsuestia, Salomon von Basra. - Gregor von Nyssa, Maximus Confessor, Joh. Scottus Eriugena, N. Berdjajew (Phil. des freien Geistes,1927) sind weitere Anhänger dieser Lehre. Schließlich können auch die Pietisten dazugezählt werden: Bengel, bes. F.C. Oetinger "Leiblichkeit ist das Ende der Werke Gottes"(Bibl.und emblemat. Wört. 1776: Er bezieht die ganze Natur in die Heiligung ein... Grundsätzlich scheint zu gelten: Anhänger der Lehre der Apokatastasis sind auch Freunde der Theorie von den zwei Wahrheiten!

 

Origenes, Gregor von Nyssa können mit ihrer esoterischen Apokatastasis-Lehre als Anhänger der Theorie der zwei Wahrheiten angesehen werden: eine für die Weisen, eine für hoi polloi! Vgl. Ueberweg, Bd.2 (Geyer) die entsprechenden Artikel unter den genannten Namen. Origenes verlangte, daß seine: Lehre der Apokatastasis (der Wiederbringung aller Dinge) vor der allgemeinen Öffentlichkeit verborgen bleiben solle (Ernst Staehelin, Die Wiederbringung aller Dinge, Basel 1960,S.7), ähnliches bei Maximus Confessor (S.11, vgl. aber S.20) Letztes Ziel des Handelns Gottes mit der Schöpfung ist die Einigung aller Dinge in Gott, die Apokatastasis, Gipfel der Offenbarung Gottes und sein von Anfang an gesetztes Ziel. Aber diese letzten Erkenntnisse sind nicht für jeden bestimmt. Die Masse bedarf aus erzieherischen Gründen nicht des Hinweises auf die Gewißheit, daß dereinst alles wieder in Gott zurückkehren wird, sondern sie muß auch durch die Furcht vor der Verdammnis gelenkt werden. Diese hochmütige Auffassung von einer zwiefachen Wahrheit findet sich auch bei Synesios, sie ist im Christentum noch älter und, nach Auffassung Wessels, ein Erbe der alexandrinischen christlichen Religionsphilosophie des frühen 3. Jahrhunderts. Klaus Wessel Die Kultur von Byzanz Frankfurt am Main 1970, 180f. - Origenes unterschied die "Kleinen" und die "Fortgeschritteneren".  An die Adresse der Kleinen richtet er eine Belehrung über die Bestrafung nach dem Tod, ihnen redet er auch von Feuer und Teufel. Er selbst versteht die Hölle aber als Metapher für "Gewissensqualen", aber diese Vorstellung, auch die Plagen und Greuel als Vorzeichen des Weltendes, die Rede vom Alter und der Müdigkeit der Welt, all diese Dinge sind für ihn nur metaphorisch gemeinte Dinge, was aber nur die Fortgeschritteneren erfahren sollten. Für die Kleinen kann die Abschreckung durch ein ewiges Feuer ethisch bedeutsam sein. Vgl. H. Vorgrimler, Geschichte der Hölle, München 1993, 96f.

 

Augustinus, jede Prädestinationslehre führt zu einer Unterscheidung von Auserwählten und Verdammten, so auch bei Augustinus und seinem Anti-Pelagianismus, vgl. L. Sturlese, Die deutsche Philosophie im Mittelalter München 1993, 170(?); im augustinischen Sinn gedacht: je länger nach der Heilswende die Geschichte fortdauert muß der Anteil der Heilsunwerten, der augustinischen massa damnata, anwachsen (Blum. Matthäuspass. 1988, 152)

Im Gegensatz von civitas dei und civitas diaboli findet das Weiterwirken des gnostischen Dualismus sichtbaren Ausdruck. Während die Bürger des ersteren bestimmt sind, ewig mit Gott zu herrschen, wälzt sich die "Genossenschaft der Gottlosen" im " 'Schlamm der Tiefe' und den Finsternissen des Truges"Vom Gottesstaat (Thimme, Andresen) München 19913, II 212, 176, 541

Gerade mit seiner Vorstellung der "massa damnata" scheint Augustinus manichäistischen Vorstellungen treu geblieben zu sein, vgl Alfred Adam Das Fortwirken des Manichäismus bei Augustin, Zschft. f. Kirchengesch. 69, 1958, 1-25, 24; Armstrong Dualism Platonic,... In: David Runia, Plotinus... Amsterdam 1984, 29-52, 51; Th. Sinnige, Gnostic Influences... In: Runia, Plotinus... 73-98, 97.

Augustinus postulierte, es geschehe "nichts Heilsameres ... in der katholischen Kirche, als daß die Autorität den Vorrang hat." (de mor. eccl. cath. I 25; z. nach Kurt Flasch Augustin. Einf. in sein Denken Stuttg. 1980, 314

Taylor (Quellen 1994, 435f.) nennt eine best. christliche Einstellung hyperaugustinisch, nämlich daß die Menschen durch den Sündenfall derart verdorben sind, daß sie der Gnade bedürfen, um überhaupt das natürliche Gut zu erkennen; eine Beteiligung am Erlösungshandeln Gottes ist ausgeschlossen. Der Mensch in der Gnade ist natürlich überlegen und ermächtigt seine Mitmenschen zu führen.

[Jacques Arminius, 1560 - 1609, Theoretiker der Prädestination; seine Lehre sieht eine "massa damnata" vor, aus der Gott jene zieht, die er retten will, Encyc. 931.]

 

Unmündigkeit, Geheimhaltung und Hermetismus, s.dazu Fl. Ebeling, Das Geheimnis des Hermes Trismegistos. Geschichte des Hermetismus, München 2005!

Die hermetischen Schriften wurden in der Regel geheim überliefert. Mission durch Verheimlichung: Einerseits soll das wahre Wissen um Gott, Mensch und Natur in die Welt getragen werden, andererseits wird dieses Wissen besonders exklusiv stilisiert. Das göttliche Wissen mußte geschützt werden vor der Profanität der Welt. Ebeling S. 37

Der Gott Hermes Trismegistos habe die “Kyraniden” (Koiraniden) von den Engeln erhalten und es nur den Menschen weitergegeben, die der Geheimnisse würdig sind. Ebd. S. 45

Damit das Geheimnis um den Lapis philosophorum nur den Gläubigen und Verständigen übermittelt wird und es vor den Toren und Ungläubigen verborgen bleibt, scheint den Autoren hermetischer Schriften eine Art Initiation notwendig. Nach einer propädeutischen Phase folgt die Offenbarung... Ebd. S. 142f.

Die Geheimhaltung der Hermetiker beruht nicht auf einer politischen Unmündigkeit des Uneingeweihten, sondern auf der Angst vor der Entweihung und Profanierung der hermetischen Geheimnisse!

 

“Denn was hat das Volk mit der Philosophie gemein? Die Wahrheit des Göttlichen muß geheim bleiben, die Menge bedarf einer anderen Behandlung.” Synesios ep. 105 (R. Hercher 1873, 706), zit. bei Georg Grützmacher, Synesios von Kyrene, Leipzig 1913, 118.

Bei Dionysios Areopagita gibt es sogar im Aufstieg der Seele zum Himmel einen Unterschied zwischen der Menge, die in einer harmonischen Aufwärtsführung emporsteigt, und den Geweihten, die "in heiligen Aufstiegen" emporsteigen, vgl. A. M. Haas, Mystik als Aussage, 1996, 79. Lit. K. Goldammer, "Wege aufwärts" und "Wege abwärts", in: Eine heilige Kirche 22/1, Heft: Östliche und westliche Mystik, 1940, 25-57, hier 30, Anm. 40.

 

Geheimnisse sollen vor Unberufenen bewahrt werden, fordert Dionysius ausdrücklich, damit sie nicht besudelt werden. Myst. Theol.  I 1.

 

Isidor entwickelte eine Lehre der doppelten Prädestination, zum Leben für die Auserwählten, und zum Tod für die Verdammten, Sent.II 6,11; Gottschalk nahm das auf unter einer Kampfformel der "Doppelten Prädestination" (gemina praedestinatio), vgl. L. Sturlese Die deutsche Philosophie im Mittelalter Mmünchen 1993, 32

 

Gottschalk (Godescalc) Gest. 866/69 Schüler des Ratramus, lehrte eine doppelte Prädestination, der Guten und Bösen. Seine Schriften darüber sind verlorengegangen.

 

Das handwerkliche Wissen ist dem gemeinen Volk weitgehend bekannt, das Wissen von der Natur ist nur den Philosophen bekannt, dem gemeinen Volk ist es unwürdig... Adelard von Bath, De opere astrolapsus, ed. B. Dickey 1982, 203, 3-7; vgl. Andreas Speer, Die entdeckte Natur - Untersuchungen zu Begründungsversuchen einer "scientia naturalis" im 12. Jahrhundert, Leiden New York Köln: Brill 1995, 74.

 

 

Für al-Farabi ist die sokratische Methode nur etwas für Auserwählte, während Thrasymachos und seine Kunst der Überedung die Methode für die Masse ist.W.Montgomery Watt, Michael Marmura, Der Islam, II Polit.Entwicklungen und theolog. Konzepte, Stuttgart u.a.: Kohlhammer 1985, 320-392 (zur islam.Philosophie), S. 353.

Ibn Tofail (Tufayl) folgte mit seinem Roman Hayy ibn Yaqzan den polit. Vorstellungen al-Farabis: Wenige seien zur Weisheit begabt, die Mehrheit solle strikt der geoffenbarten Religion folgen. Geert Hendrich, Arabisch-islamische Philosophie. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt/New York: Campus 2005, 106.

 

 

Die arabisch-islamischen Philosophen, namentlich al-Kindi, al-Farabi, Avicenna und Averroes (nicht aber al-Gazali) unterschieden eine Wahrheit für die Gebildeten (von der Philosophie erbracht), ein Elite-Wissen einerseits, von der Wahrheit der Religion, die anschaulich mit Bildern, Parabeln und Symbolen arbeitet, die aber eine Wahrheit für die unmündige Masse darstellt.

 

Auf dem Gipfel der Wahrheit ist, so Avicenna, für die Masse kein Platz; nur einer nach dem anderen dringt zu der auf einsamer Höhe entspringenden Quell der Gotteserkenntnis vor. T.J. de Boer, Geschichte der Philosophie im Islam, Stuttgart: Frommann 1901, 128.

 

Für Averroes dient die Rede von der Unsterblichkeit der Seele ausdrücklich der Lenkung der Massen...

Vgl. Franz Schupp, Geschichte der Philosophie im Überblick, Bd. 2, Christl. Antike Mittelalter, Hamburg: Meiner 2003, s. 243, 251, 258

 

"...strikte Unterscheidung von Elite und breiter Masse; hie die Philosophie und ihre Wahrheit des gehobenen Niveaus für den intellektuellen Ausnahmemenschen. dort die Religion und ihre bildhaften Wahrheiten für die unmündige Masse.

Al-Kindi, al-Farabi, Avicenna und Averroes hielten eine allgemeine Aufklärung gar nicht für möglich; jedes Bestreben, Wissen zu verbreiten, wurde von ihnen strikt abgelehnt und als aussichtsloses Unterfangen beurteilt! Al-Gazali, der Orthodoxe, der Buhmann, scheint hier anders gedacht zu haben: Vermutlich war er selbst ein Angehöriger der unteren Schicht, der schon deshalb Vorbehalte gegenüber jedem Elitedenken pflegte." (eigener Vortrag vom 2.Febr. 2008)

 

Averroes, Philosophie für die "Klugen", rhetorische Argumente für die Ungebildeten, Collegia-Texte 1991, Nachwort S.171 u. 173 (übersetzt von Marcus Jos. Müller)

 

Samuel ibn Tibbon, dem Übersetzer des Führers der Verirrten ins Hebräische, fertiggestellt 1204 im Todesjahr des Maimonides, wurde vorgeworfen, er gehe von der Voraussetzung aus, daß Maimonides sich um der Masse willen gelegentlich täuschender Redeweisen bedient habe, denn wirklich habe Maimonides weder an den zeitlichen Anfang der Welt noch an die göttliche Vorsehung (bezüglich des Singulären als solchen) geglaubt. Hermann Greive, Die Maimonidische Kontroverse, in: Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert, hgg. von Albert Zimmermann, 1976, 173.

 

Für Albertus Magnus kann der Mensch kraft seines Intellekts die Welt des Göttlichen erreichen, aber : "Dem Philosophen, und nur ihm, steht also der 'Himmel' offen. Und die Philosophie weist denen, die ihr zu folgen vermögen, den verlässlichen Weg dorthin..." Georg Wieland, Albert der Große, in: Theo Kobusch, Hg., Philosophen des Mittelalters.Darmstadt: 2000, 125-139, 137.

 

Daniel Sudermann (1550 - ~1631) bezeugt, wie vorsichtig man im kath. Bereich mit den Schriften des als Häretiker verurteilten Meister Eckhart umging: "Magister Eckhardus wegen seiner Göttlichen lehre werden viel seiner Bücher und Schriften in Klöstern hien und wieder gefunden, welche sie vor Jederman verbergen und nicht under den gemeinen man kommen lassen, biß etwan ein Kloster zerstöret oder mit gewalt eingenommen wirdt, oder sie Gott selbß hierfür schaffet." Zit. bei A. M. Haas, Mystik als Aussage, 1996, 340. Es ging natürlich insbes. um die Lehrgehalte Eckharts, die die Gotthaftigkeit des Menschen betrafen, die Lehre von der Gottesgeburt im Menschen, usf., die dem "gemeinen man" nicht bekannt werden sollte.

 

Nicolaus von Kues, einige Menschen, nämlich jene, die nur im Irdischen leben, haben keine Hoffnung auf [himmlische] Glückseligkeit, andere wohl, Ludo Globi,Meiner S.41 - Obwohl er Meister Eckhart hoch schätzte und ihn nachdrücklich gegen den Vorwurf des Pantheismus verteidigte, sprach er sich doch dafür aus, man solle dessen Werke aus der Öffentlichkeit entfernen, da sie für das Volk nicht geeignet seien - "quia vulgus non est aptus ad ea". (Apologia doctae ignorantiae, Opera omnia II 1932, 25; vgl. R.Heinzmann Phil.des MA Stuttg. u.a. 1992, 279)

Den zweiten platon. Brief, den Kues zusammen mit der Auslegung des Proklos las, verstand er nicht nur als Aufforderung zur Geheimhaltung (De beryll. n.16), sondern auch als polit. Metaphysik (das Gute als König).

 

ASag es niemand, nur den Weisen.@ Das Wichtigste geheimhalten, die höhere Stufe der Einsicht geheimhalten... N. von Kues, Über den Beryll, n.2, 1-7. (Kues führt für diese esoterische Konzeption der Philosophie Platon und Dionysius Areopagita an!)

 

Schon 1449 hatte er Meister Eckhart gelobt und gleichzeitig gefordert, dessen Werke sollten aus öffentlichen Bibliotheken entfernt werden. Kurt Flasch, Nicolaus Cusanus, München: Beck 2001, S. 28.

 

Jan Hus vertrat nicht etwa eine Lehre von der Gemeinschaft aller Gläubigen, die Kirche stellte seiner Auffassung nach die Gemeinschaft der Prädestinierten.

 

Giovanni Pico della Mirandola unterscheidet zwei Arten von Menschen, rudes (Ungebildete) et sapientes. Nur die sapientes können die eigentliche Wahrheit erringen.

Die Ungebildeten hängen am Äußeren und bleiben einem vordergründigen Verständnis verpflichten; ihnen ist die Offenbarungswahrheit verwehrt. Im Grunde folgt Pico hier den gnostischen Sekten. Vgl. Engelbert Monnerjahn, Giovanni Pico della Mirandola. Ein Beitrag zur philosophischen Theologie des italienischen Humanismus, Wiesbaden: Franz Steiner 1960, 130.

An anderer Stelle untergliedert er entsprechend in Stumpfe und Gläubige. Vgl. Monnerjahn 138.

Und schließlich zwischen einfachen und fortgeschrittenen Gläubigen. Monnerjahn S. 189.

 

Cardanus, Hieronymus (Cardano, Girolamo oder Geronimo) 1501 - 1576 Ital. Mathematiker, Arzt, Naturphilos., der den Aufbau der Wirklichkeit und das Naturgeschehen mechanisch zu verstehen versuchte, aber einer pantheist. Naturphil. huldigte. Die Wahrheit dürfen nur wenigen, nicht dem ganzen Volk, zugänglich sein. Rel. Diskussionen und wiss. Abhandlungen in der Volkssprache seien zu verbieten, um nicht durch Aufklärung möglicherweise Unruhen hervorzurufen. Dogmen, die ethisch-polit. Zwecken dienen, soll der Staat durch strenge Gesetze und harte Strafen aufrechterhalten. Hw: De subtilitate rerum 1552, De varietate rerum 1556, De vita propria 1575; Artis magnae 1545,  De arcanis aeternitatis hg. 1663.

 

Pomponatius, Wahrheit für Philosophen einerseits, fürs Volk andererseits, Ueberweg, 1924, Bd. 3, S.30

 

Erasmus : zwei Arten von Mensch, die Gebildeten und die Ungebildeten. Die Ungebildeten, das sind die Unmündigen, denen Erasmus und die Seinen nicht das geringste Recht einräumen. Stefan Zweig, Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam, Frankfurt am Main: Fischer 1981 (zuerst 1938), S. 96.

Stefan Zweig interprtetiert hier Erasmus falsch. In den Anti-Barberi interessiert und kritisiert er sich hauptsächlich für die Halbgebildeten, das sind die Bettelmönche; in ihnen sieht er seine Hauptgegner, nicht in den Ungebildeten. Mehrfach beweist Erasmus eine große Sympathie mit den einfachen Menschen; Zweigs Darstellung ist einseitig!

Die Preisgabe an das Volk, die allgemeine Verbreitung des Buchs und die Beseitigung der Schranke zwischen Gebildeten und Volk waren wesentliche Forderungen und weithin schon Leistungen des Erasmus. Anton J. Gail, Erasmus von Rotterdam, Reinbek: Rowohlt 1974, S. 90.

 

In ADe verbo mirifico@ (Über das wundertätige Wort) von 1494 wird am Schluß die Dialogfigur Capnion (das ist Reuchlin selber) ermahnt, die Geheimnisse des Werkes dem Pöbel nicht preiszugeben. Max Brod, Johannes Reuchlin und sein Kampf, Stuttgart u.a.: Kohlhammer 1965, S. 118.

Auch im AAugenspiegel@ gibt es eine entsprechende Äußerung: was der großen Menge mißverständlich sei, müsse in symbolischen Reden verhüllt bleiben. AUnd es darf nicht jedermann mit ungewaschenen Füßen darüber laufen und sagen, er verstünde es auch.@ Zit. bei Brod, a.a. O. S. 217.

 

Luther, Gegner der Lehre von den zwei Wahrheiten: Christi Worte seien an jedermann gerichtet, er sei vollkommen oder unvollkommen, Von der weltlichen Obrigkeit, Fischer 1955,145f. - Andere interpretieren die Bergpredigt so, als sei sie an wenige gerichtet, die zehn Gebote aber an alle. - Das vielleicht fundamentalste Prinzip der Reformation, wonach die Erlösung ausschließlich das Werk Gottes ist (vgl. Ch. Taylor Quellen des Selbst, 1994, 382), hat eine starke Tendenz zur Unmündigkeit in sich, auch in der Hinsicht, das einige Menschen sich der Gnade Gottes erfreuen können, andere nicht, um daraus ein Machtmittel zu schmieden.

 

Calvin und die Puritaner vertraten mit ihrer Lehre von der Prädestination die Auffassung von zwei Menschenklassen. Die Prädestinierten oder jene, die sich dafür hielten, glaubten sich autorisiert, die weniger glücklichen mit eiserner Hand zu führen. Vgl. Max Weber; auch Ch.Taylor, Quellen des Selbst, Fft.M.1994,405: Die "Wiedergeborenen" und "Heiligen" in gewissen Formen des Puritanismus/Calvinismus regieren die nicht Wiedergeborenen und Ungläubigen mit eiserner Hand, M. Walzer, The Revolution of the Saints, Cambridge, Mass. 1965,220

 

Noch im 16. Jh. legten die (prot. wie kath.) Theologen großen Wert darauf, daß die Laien unter allen Umständen den Theologen überlassen sollten, festzustellen, was der rechte Glaube sei, dem sich diese dann, ohne weiteres Fragen und Bedenken, "in piscatoria simplicitate" zu unterwerfen hätten. Selbst ein hochgebildeter Mann wie Johannes Kepler wurde ein Opfer solcher Theologenhochmut, als er Bedenken gegen die in Linz von ihm geforderte Konkordienformel, namentlich Vorbehalt gegen die geforderte Verfluchung der Reformierten äußerte, worauf man ihm anriet, sich bescheiden in seinem Beruf zu fügen und nicht Subtilitäten zu erwägen und kuriöse Fragen zu stellen. Friedrich Bülau, Geheime Geschichten und rätselhafte Menschen. Sammlung verborgener Merkwürdikeiten, 2. Aufl. Leipzig 1863, 5. Bd. S. 254ff.

 

Einschlägiges auch bei F. Bacon, Essays, Reclam Stgt. S.48!

 

Aus gesunder Voraussicht solle die Formel der Interpretation oder mit ihr erreichte Erfindungen unter den befähigten Geistern geheimgehalten werden.  Francis Bacon, The Works, ed. by J. Spedding, R.L. Ellies, D.D. Heath, London 1857-74, ND 1963, III, 520; ähnliches schreibt Bacon in ANeu-Atlantis@. Vgl. Wolfgang Krohn, Francis Bacon, München: Beck 1987, 35.

 

F. Bacon glaubte sich am Anfang einer glorreichen Entwicklung (der Wissenschaft)! Christian Schärf, Geschichte des Essays. Von Montaigne bis Adorno, Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht 1999, 64 Montaignes Essay endet mit Verzicht auf die Wahrheit, Bacons ist Vorbereitung der Suche... Ebd. 67  In Bacons Essays gibt es ein Machtkalkül! 68  Der hohe moralische Anspruch, den wir heute, wider besseren Wissens, an die Politik richten, war an der Wende zum 17. Jh. unbekannt. Ebd. 69

 

Rene Descartes unterscheidet zwischen größeren und niederen Seelen, s. Briefe, 18.5.1645 (an Elisabeth), vgl. Taylor Quellen des Selbst 1994, 282

Die Dioptrik, die Météores und den Diskurs hatte Descartes in der Landessprache auf Französisch erscheinen lassen, die Meditationen sollten allerdings nur jene Leser erreichen, die ihm buchstäblich nachzudenken verstehen. Das aber vermochte nur eine hoch gebildete Leserschaft, die mit dem behandelten Themen und somit auch der Schulphilosophie vertraut war. Descartes schrieb deshalb auf Latein. Ein breiteres, französisch sprechendes Publikum, das zu solchem Nachdenken nicht fähig war, durfte nicht durch seine Thesen in Verwirrung gebracht werden.

 

Spinoza schrieb auf Lateinisch. Er warnt die Menge davor, sein Buch (den tractatus) anzufassen. Vorsichtig wollte er sein, kein Porzellan zerschlagen. Seinen Vorsatz, nach der Fassungskraft der Menge zu reden, hat er aber selbst nicht befolgt. Das Latein spricht dagegen, die vielen hebräischen Worterklärungen im Tractatus ebenso. Vgl. Franz Wiedmann, Baruch de Spinoza, Würzburg: Königshausen + Neumann 1982, 93.

Im Tractatus theologico-politicus wirft Spinoza den Theologen vor, religiöse Hirngespinste bewußt einzusetzen, um die Gläubigen in Unmündigkeit zu halten. TTP, praef. Vgl. Wolfgang Bartuschat, Baruch de Spinoza, München: Beck 1996, 156.

Der Vernunftoptimismus bei Spinoza gerade auch gegenüber dem Volksempfinden wurde heftig gedämpft als 1672 Jan de Witt vom Pöbel in Den Haag umgebracht wurde. Statt für Mündigkeit des Volkes plädiert auch Spinoza für realpolitische Standpunkte: etwa das Volk zu leiten, ohne daß es den Eindruck hat, geleitet zu werden. Tractatus politicus X 8; vgl. Bartuschat a.a.O. 170f. Auch Spinoza, Ep. 68

Den Tractatus theologico-politicus schrieb Spinoza nicht für das allgemeine Volk zu seiner Aufklärung, sondern für die philosophisch Interessierten. Bartuschat, Baruch de Spinoza, 2006, 2. Aufl. S. 157.

Vortrag Okt. 2011: Ein Staat, der die individuelle Freiheit der Bürger garantiert, glaubt Spinoza stabil zu sein, weil er nämlich die gemeinsame Macht der Bürger verkörpert. Gerade weil die Bürger frei dazu sind, ihre Meinung zu sagen, ist Frieden im Staat garantiert. Die Unterordnung unter diesen Staat muß als solche nicht empfunden werden, da der Wille des Gemeinwesens als Wille aller angesehen werden kann.

Doch diese rationalistische Deutung des Staates erwies sich als Fiktion als bei einer Verschwörung zugunsten der Oranier und der Monarchie der Vertreter der liberalen Seite, Johan de Witt, ermordet wurde. Die wohlmeinenden Gedanken Spinozas berücksichtigten nicht, daß die Bürger von ihrem Staat gelegentlich ganz anderes erwarten als Vernunft und Freiheit. Die Revolte des Volkes gegen die liberale Regierung verlangte nach einem Führer, hier ganz klar Wilhelm III. von Oranien, von dem man als militärischen Befehlshaber im Krieg Frankreich Sieg und Triumph erwartete.

Nach dem Mord an de Witt durch den Mob von Den Haag hat Spinoza seinen Vernunftoptimismus, mit dem er das Volksempfinden betrachtete, sehr weitgehend korrigiert und verändert. In seinem unvollendet gebliebenen "Tractatus politicus" problematisiert er die Urteilsfähigkeit des Volkes; er erklärt sie hier zu einer bloßen Privattugend, die für die Politik ohne Belang sei. Aufgabe der Philosophie, so der ältere Spinoza, sei zuletzt nur, die Geschäfte der klugen Politiker zu beschreiben. Von der Regierung seien die Menschen so zu leiten, daß sie den Eindruck haben, nicht geleitet zu werden.

 

 

Wie Adel und Klerus in Europa des 17. Jh. und 18. Jh. eine Schulbildung für Bauern für überflüssig, ja schädlich hielten, so waren die Jesuiten in Amerika nicht an einer wirklichen Ausbildung der Indianer interessiert; sie bevorzugten ihre Schützlinge lieber dumm und brav als gebildet und vorwitzig. Trotzdem waren auch hier alle Anstrengungen vergebens, die Indianer als gleichförmige, fromme und gehorsame Masse zu erhalten.

 

Deismus: Gegensatz von Bildung und Unbildung im Zeitalter der Aufklärung noch krass: Die Vernunftreligion sollte (nach dem englischen Deismus) für den gebildeten Mann ebenso reserviert sein wie die freie schöne Sittlichkeit, für den gemeinen Mann, so Shaftesbury, müssen Verheißungen und Drohungen der positiven Religion bestehen bleiben wie Rad und Galgen. Auch andere sogenannte Freidenker (z.B. Toland. Lord Bolingbroke, in Deutschland: Semler) verstanden ihren ethischen oder religiösen Liberalismus als esoterisch:  Man wollte sorgfältig zwischen der Religion als Privatsache und der Religion als öffentliche Einrichtung unterschieden wissen, vgl. W. Windelband, Lehrbuch der Gesch. der Philosophie, ' 37,3, 1980, S. 447f. Freidenker dürfen nur die Angehörigen der besseren Stände sein. Für die unteren Klassen ist das Festhalten, so Bolingbroke, an der überkommenen Religion notwendig. Ziegenfuss I 128f.

V ernunft- und Volksreligion widerstreiten einander, hier liegt der innere Widerspruch der Lehre der Scheidung zwischen dem esoterischen und exoterischem Gehalt der religiösen Lehre des Christentums bei dcen Deisten. Bolingbroke neigte gelegentlich zu offener Heuchelei. Vgl. R. Metz, George Berkeley. Leben und Lehre, Stuttgart 1925, 207f.

 

Der Arzt J. J. Waldschmiedt veröffentlichte 1688 in Marburg zum Empören der Theologen auch noch in deutsch, also für jedermann lesbar, für AHohe und Niedrige, Große und Kleine@, ein kleines cartesianisches Schriftchen, wofür Waldschmiedt (der Cartesianismus war in Marburg per Statuten 1653 verboten worden) bei der Geistlichkeit Abbitte leisten mußte und für die Wiederholung eine Geldstrafe angedroht wurde. H. Hermelink, S. A. Kaehler, Die Philipps-Universität zu Marburg 1527-1927, 1927, 310.

 

Collins, Anthony 1676 - 1729 Mit Locke befreundet, forderte die Befreiung des Denkens vom Dogma, wollte das freie Denken nicht auf die Gebildeten beschränkt wissen, weil dies die Quelle aller gesell. Unordnung sei. Hw: A Discourse of Free-Thinking 1713 (Verteidigung des Freidenkertums gegen den Vorwurf, Religion und Moral zu untergraben), A Discourse on the Grounds and Reasons of Christian Religion 1724.

 

Pascal, den wenigen begnadeten Individuen steht die einzige Masse der Verlorenen gegenüber(Pensees X1), die einen erleuchtet, die anderen verblendet (XX19), vgl. Cassirer Erkenntnisprob. I  448f..

Pascal verlangt prinzipiell, daß das Volk, das leider nur zu gern Aufwieglern Folge leistet, zu seinem Besten getäuscht werde: [...] Man müßte hier auch alle Fragmente der Pensées zitieren, die den Volksbetrug empfehlen und eine regelrechte Technik der Gewissenseinlullung enthalten. ... Albert Béguin, Blaise Pascal, Reinbek: Rowohlt 1959, 76

 

Die Gesetze, Sitten, Religion, "diese bloß fürs Volk geltenden Beschränkungen, haben nichts Legitimes an sich in den Augen der Philosophie... " Marquis de Sade, Juliette I 89, zit. bei Taylor, Quellen des Selbst 1994, 589

 

 

ADas Volk hat zur Selbstbildung weder Zeit noch Fähigkeit@, meinte Voltaire. Karl Vorländer, Geschichte der Philosophie V, Philosophie der Neuzeit, Hamburg 1967, 52. - Voltaire verachtete das Volk als ungebildet und daher verführbar und fanatisierbar.

 

AAntoine de Rivarol hält das Volk für immer unmündig, immer im Kinderstande, oft grausam und durchaus leichtgläubig.@ Ernst Jünger, Rivarol, Frankfurt: Fischer 1956, S. 44.

 

Julien-Offray de la Mettrie (1709 - 1751) Wahrheit als solche, argumentiert er, könne niemals gefährlich sein, was auch für den Materialismus gelten müsse, wenn er wahr sei, und, wohl auch um die mögliche Wirkung seiner provozierend-materialistischen Thesen zu verharmlosen, setzt er mit einer gewissen Resignation hinzu, daß die Philosophie ohnedies nur einen kleinen Kreis von Gebildeten erreiche, während das Volk von philosophischen Gründen unberührt bleibe und z.B. unter dem Einfluß der Eigenliebe  am Glauben an die Unsterblichkeit festhalte will. (Oeuvres complètes Hildesheim 1965, I 15ff.; zit. bei Röd Gesch. d. Phil. 1984, VIII 215)

F.A. Lange versteht LaMettrie derart, daß die große Masse unfähig für die Wahrheit sei. Friedrich Albert Lange, Geschichte des Materialismus, 1. Buch, Reclam: Leipzig 1905, 446, 460.

Den Mut zum Selberdenken hat immer nur eine kleine Zahl (LaMettrie). Ursula Pia Jauch, Jenseits der Maschine. Philosophie, Ironie und Ästhetik bei Julien Offray de La Mettrie (1709-1751), München Wien: Hanser 1998, 120.

Das Volk liest nicht die Philosophen! Und wenn, es würde sie aburteilen - wie die Poeten. Jauch, LaMettrie, S. 212

Das Volk will betrogen sein... Jauch, LaMettrie, S. 262

 

Bei Holbach lassen sich zwei Moralordnungen ausmachen, eine moralimprägnierte und eine moralwissenschaftliche Ordnung, s. Arnold Gehlen Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik Wiesbaden 1981(zuerst 1969), 32 (vgl. System der Natur 10. Kap.)

 

Friedrich II. nahm für sich bekanntermaßen Freigeisterei in Anspruch, gleichzeitig ließ er "Ketzerei" und Individualismus in seinen Landen verfolgen. Vgl. Walter Nigg, Grosse Unheilige, 1980,136

 

In Geheimbünden des 18. Jh. wurden die eingeweihten Führer strikt von der uneingeweihten Gefolgschaft getrennt, auch wenn ein System graduierter Einweihung beide Klassen miteinander zu verbinden schien; hie die Auserwählten, Eingeweihten, dort jene, die zu bedingungslosem Gehorsam verpflichtet waren, vgl. W. Frick Die Erleuchteten Bd. 1, 535. Die leere Anmaßung der Auserwählten wird in einer Anekdote über den Freimaurer (?) Hund deutlich: Er weist eine Urkunde vor, die in einer Geheimschrift geschrieben ist, die niemand lesen kann und deshalb eben auch bestätigt wird, Frick S. 251

 

Die in der deutschen Aufklärung getroffene Unterscheidung von wahrer und falscher Aufklärung unterstellt den falschen Aufklärern und ihren Anhängern Unmündigkeit. Werner Schneiders, Hoffnung auf Vernunft. Aufklärungsphilosophie in Deutschland, Hamburg: Meiner 1990, 163.

 

Darf das Volk zu seinem Besten getäuscht werden?

Karl Lessing antwortet für seinen Bruder: Belehren, aber nie täuschen! Peter J. Brenner, Gotthold Ephraim Lessing, Stuttgart: Reclam 2000, 324 (vgl. dazu bes. AErnst und Falk@)

 

Goeze fordert von Lessing dringend, die Auseinandersetzung auf lateinisch weiterzuführen, um breite Öffentlichkeit für diese brisanten Dinge zu vermeiden. Lessing dagegen will ein möglichst großes Publikum erreichen: Auch die gebildete Unterschicht (wörtlich: der Pöbel, peuple) solle am Prozeß der Aufklärung beteiligt werden. Vgl. Monika Fick, Lessing-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung, Stuttgart Weimar: Metzler 2000, 369

 

Mendelssohn wiederum greift gegen Jacobi (in der Sache der Spinoza-Gespräche) das gleiche Argument auf, dessen sich Goeze gegen Lessing anläßlich der Reimarus-Publikation bediente. Jacobi hätte besser daran getan, das gefährliche Geheimnis für sich zu behalten, anstatt das Andenken des Verstorbenen Abey der Nachwelt zu brandmarken@. Monika Fick, Lessing-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung, Stuttgart Weimar: Metzler 2000, 453.

 

Bei Kant  wird häufig das Wort "vernünfteln" mit einem eigentlich überheblichen Unterton gebraucht: Der gemeine Mann soll nicht zuviel nachdenken, der hat das doch nicht richtig gelernt und macht nur Unfug; der soll lieber anständig handeln, und im übrigen wird die Vernunft in ihren höheren Zwecken mit dem Glauben übereinkommen. Entsprechend gebraucht Hegel den Ausdruck "räsonieren". "Er spricht da etwa so,  wie ein hoher Ministerialbeamter jenes noch halb merkantilistischen Staates gesprochen haben mag, wenn er gesagt hat, es sei nicht gut, wenn die Untertanen soviel räsonieren, weil die höhere Vernunft ja doch nicht verstehen können."( T. W. Adorno Phil. Term. II 1974, 112 ) Adorno selbst  allerdings erlaubt sich durchaus eine doch recht großbürgerliche Arroganz in seinem Urteilen über den deutschen sogenannten Kleinbürger, dem er Weltlosigkeit diagnostiziert und eigentlich Unfähigkeit zum philosophischen Urteil, wobei ihm Heidegger als prototypischer Kleinbürger gilt. (Vgl. Phil. Term. I 1973, 144-146,158,160.)

 

Goethe lernte im Herrenhutertum das Urchristentum schätzen, wohl der individuellen Christusinkarnation wegen, die bei Zinsendorf und Lavater auftreten. Seit 1817, so meint Hugo Ball, "hält G. die Kirche für ein für das Volk notwendiges Institut (Bildungsesoterik auch bei Herdert). Als 'Söhne Gottes' können wir Gott in uns selbst anbeten." Hugo Ball, Die Flucht aus der Zeit Luzern 1946, 240 (Hervorh. von Ball).

Gerade anläßlich des Atheismusstreites mit Fichte wird diese Anschauung Goethes deutlich. Wie sein Herzog, der nun wirklich nicht fromm war, so dachte auch er: Religion hielt man nützlich nur für die Untertanen, die Gebildeten unter sich können denken, was sie wollen. Doch auf diese Unterscheidung zwischen esoterischer Kritik der Religion und exoterischer Anpassung will sich Fichte nicht einlassen, er tritt mit lutherischem Pathos auf... Rüdiger Safranski, Goethe & Schiller. Geschichte einer Freundschaft, München: Hanser 2009, S. 231f

 

Ein niederländischer Graf Nieuport vertritt bei Elisa von der Recke das Argument, durch die Einschränkung der Geistlichkeit habe Kaiser Joseph unsägliches Übel verursacht. Fest hängt er an dem “Wahn” (Recke), das Volk müsse getäischt werden, um durch die Furcht vor dem Teufel und Priestergewalt im Zaume gehalten zun werden. Recke mahnt einen Aufenthalt in protestantischen Ländern an, um die Fortschritte der Vernunft zu beobachten. Die Greuel, die in Frankreich geübt wurden, können einen Katholiken wohl dahin bringen, daß er behauptet, Volkstäuschung sei notwendig. Elisa von der Recke, Tagebücher und Selbstzeugnisse. München: Beck 1984, 318f.

 

Novalis blickt in "Die Christenheit oder Europa" mit Wohlgefallen auf jene friedliche Gemeinschaft zurück, die durch das Regiment der mittelalterlichen Kirche gestiftet worden sei. Ausdrücklich betont er dabei, "mit Recht" habe sich "das weise Oberhaupt der Kirche ... frechen Ausbildungen menschlicher Anlagen auf Kosten des heiligen Sinns, und unzeitigen gefährlichen Entdeckungen, im Gebiete des Wissens" widersetzt. Werke (Mähl/ Samuel) München Wien 1978 II 733.

 

 

Die Diener der Philosophie als Priesterstand, Hegel, zit. bei R. Haym, Hegel und seine Zeit, Hildesheim 1962, 413f. Dieser Priesterstand dürfe mit der Welt nicht zusammengehen und müsse das Besitztum der Wahrheit hüten... Franz Wiedmann, Hegel, Reinbek 1965, 85.

 

 

Wilhelm von Humboldt befürwortete eine Reform von oben in wohl dosierten Schritten. Die Fessel, die das Individuum noch bändigt, sei erst Anach und nach@ zu lösen, Aeben in der Folge, wie das Gefühl der Freiheit erwacht.@ Vor allem aber müsse der Reformer seine Maßnahmen als alternativlos darstellen. Denn nur Aunter das Joch der Notwendigkeit@ beuge der Mensch Awillig den Nacken@, während er sich Agegen das ihm aufgedrungene@ Nützliche stets sträube. Ralph Bollmann, Reform. Ein deutscher Mythos. Berlin: Siedler 2008, 133.

 

Als die Stadt Elbing einem der entlassenen Professoren der Göttinger Sieben, Albrecht, eine AAnerkennungsadresse@ sandte, trug ihr das die Rüge des Preuß. Innenministers von Rochow ein, der hier einen Abeschränkten Unterthanenverstand@ zu erkennen glaubte (15.1.1838). Georg Herwegh prägte danach in einem Brief an Friedr. Wilhelm IV. (19.12.1842) das zitierte Wort.

 

A. Schopenhauer Die gnostische Denkfigur findet sich auch bei Schopenhauer: Das eigentliche Wissen seiner Philosophie entzieht sich der Möglichkeit der Falsifikation. Wer die Realität des "Willens" und die trügerische Kraft des "Schleiers der Maja" leugnet, gibt zu erkennen, daß er ihrem Betrug aufgesessen ist, vgl. M. Pauen Dithyrambiker des Untergangs, Berlin 1994, 73ff., bes. 76

 

F. Nietzsche, Lehre von zwei Menschenklassen: höhere Menschen und Herden-Menschen, s. insbes. "Wille zur Macht": Lehre von der Rangordnung! 581ff.

 

Die Aufklärung war seit je ein Mittel der “großen Regierungskünstler (Konfuzius in China, das Imperium Romanum, Napoleon, das Papsttum, zur Zeit, wo es der Macht und nicht der Welt sich zugekehrt hatte) ... Die Selbsttäuschung der Menge über diesen Punkt, z. B. in aller Regierbarkeit der Menschen wird als Fortschritt erstrebt!” Nietzsche, Nachlaß, Werke, Kröner, Bd. XV, S. 235, zit. bei Adorno, Horkheimer, Dial. der Aufkl., 1971, 43.

 

Friedrich Wilhelm III. von Preußen, so Veit Valentin, fühlte sich als Landesvater, der auf alle Fälle das Wohl der Untertanen besser zu fördern weiß, als diese es beurteilen oder auch nur merken können, s. Veit Valentin, Geschichte der deutschen Revolution 1848-1849, Erster Band, Frankfurt A. M. 1977, 26. - Die Revolution von 1848 war ja nicht zuletzt ein Protest und überzeugte Opposition gegen das Berliner Bevormundungssystem (ebd., S. 61).

 

F. M. Dostojewskij, Der Großinquisitor, die Hauptfigur der Novelle vertritt die Theorie der zwei Wahrheiten.

 

Georg Simmel, Schriften zur Soziologie, 1983, 74; selbst Simmel tut so, als ob er eine Menschheitskonstante beschreibt: Einige Menschen sind zum Herrschen bestimmt, andere zum Dienen (S. 292).

 

Während Ende des vorigen Jahrhunderts polizeilich geduldet wurde, daß auf Herrenabenden des Adels oder des Bürgertums pornographische Abbildungen herumgereicht wurden, auch in Buchform veröffentlicht wurden, sollten jedenfalls derartige "Volksausgaben" verhindert werden, Berner, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, etwa 1895, Nachdruck 1986, 476, zit. bei R. Lautmann, M.Schetsche, Das pornographische Begehren, 1990,162f.

 

Die Angst vor unbequemen weltanschaulichen Folgerungen bildet das Motiv dafür, eine Popularisierung naturwissenschaftlicher Theorien strikt abzulehnen. In einer katholischen Zeitschrift von 1893 heißt es:

“Theorien, wenn sie noch so geistreich sind, gehören nicht unter das Volk ... Das Volk glaubt nur zu oft, was gedruckt ist und weil es gedruckt ist. Seine Religion ist dem Volke das kostbarste und heiligste, das einzige, wodurch ein Volk wahrhaft glücklich sein kann. Wird an diesem Heiligtum gerüttelt, wird dem Zweifel Tür und Torr geöffnet, so ist es dem Unglücke anheimgefallen.”

Hermann Josef Dörpinghaus, Darwins Theorie und der deutsche Vulgärmaterialismus im Urteil deutscher katholischer Zeitschriften zwischen 1854 und 1914, Diss. Freiburg i.Br. 1969, 54.

 

 

 

Die Entwicklung de allgemeinen Wahlrechts (insbes. im Verlauf des 19. Jahrhunderts) läßt sich lesen als eine zunehmende Entlassung der Bürger aus der Unmündigkeit.

1814 hatten in Frankreich etwa 90.000 Bürger (die mehr als 300 Francs direkte Steuern zahlten) das Wahlrecht. 1831 verdreifachte sich die Zahl der Wahlberechtigten auf etwa 250.000. Zwischen 1832 und 1885 erhöhten mehrere Gesetze in Großbritannien die Zahl der Wahlberechtigten so spürbar, dass schließlich auch besser situierte Arbeiter dazugehörten. Peter Gay, Das Zeitalter des Doktor Arthur Schnitzler. Innenansichten des 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main: Fischer 2002, 44f.

 

Stefan George: Der Künstler im Gegensatz zur "unheiligen menge", nämlich kraft seiner Sprache, Werke I Stuttg. 19844, 506 (vgl. Pauen S. 108) Die Menge ist unheilig durch ihre große Zahl allein (George I 244; Pauen 115) Die Künstler avancieren zu neuen Priestern (Wolfskehl, Der Priester vom Geiste, S. 21, s. Pauen S. 117)

 

Gnostische Abwendung von Wirklichkeit, die Denunziation einer schrecklichen Wirklichkeit, zieht Ablehnung des Mimesis-Prinzips nach sich (Loslösung von Mimesis: um den Trug der Erkenntniswelt zu überwinden, Pauen S. 230) sowie prophetische Aussagen über utopische Wirklichkeit, Pauen S. 118. - Diskreditierung der Empirie, s. Pauen S. 128. Gnosisrezeption nicht, weil Realität so schrecklich ist, sondern um durch Denunziation des Bestehenden sich Raum für neue Entwürfe zu verschaffen, Pauen 131

 

Ludwig Klages als Gnostiker, s. Pauen S. 135ff., eine "gnostische Totalvorstellung", (Jaspers Die Atombombe 407, zit. bei Pauen 138). Die Defizienz solcher gnostischer Philosophien wie die von Klages liegt darin, daß bestimmte Seiten des Lebens einfach nicht bejaht werden können, stattdessen verteufelt werden, s. Pauen S. 146. Wie Schopenhauer lehnt auch Klages das Wollen schlechthin ab. Hier ist ein Widerspruch im gnostischen Denken: Die Selbstermächtigung des erkennenden wird zur Falle des handelnden Subjekts, Pauen 154, 164.

 

 

Beim frühen Ernst Bloch haben die gnostischen Vorstellungen durchaus auch politische Vorstellungen: Idee eines Stände-Staats, als Synthese von Marx und Nietzsche, zuerst bei Bloch Gespräche mit Michael Landmann, S. 125 (Typoskript Ernst-Bloch-Archiv, Ludwigshafen), s. Pauen S.  243 (auch Othmar Spann äußerte eine solche Idee: höhere Stände sollten wie bei Platon asketisch leben..., Pauen 243); Bloch verspricht sich viel von einem "Führer" (Geist der Utopie 1923, 268-270; vgl. Pauen 243, 252; der selbsternannte Paraklet Bloch beansprucht einen Zugang zum Wissen zu haben, der dem kreatürlichen Leben sonst verschlossen ist. Seine eigenen Erkenntnisse sind daher einer diskursiven Legitimation weder bedürftig noch fähig (Geist der Utopie 1923, 270f., 252; Paraklet: Briefe Bd. 1, 66f.; Pauen 244).

 

Nicolai Hartmann (in: Rede über "Sinngebung und Sinnerfüllung" 1933 S. 26; zit bei W. F. Haug Deutsche Philosophen 1933 Hamburg 1989, 178): Sinnarmut sei Schuld des Menschen; der Stumpfe und Unempfängliche lebt an allem vorbei; der Weise öffnet Herz und Sinne, alles wird ihm eigen, was das Geschick ihm zuführt; Haug ironisiert: Nicht stumpft Subalternität ab, sondern die Stumpfen werden wie von selbst in die Subalternität einrücken.

 

Seinsvergessenheit (s. dieses Stichwort auch unter "Denkbild") und totale Verblendung der Massen, der Intellektuelle als Priester! Gnostische Philosophie bei Bloch, Klages, Heidegger, Adorno, s. Pauen 249 Die Gnostiker sind vornehmlich interessiert an dem, was nicht ist, nicht an dem, was ist. Pauen 268.

 

Martin Heidegger: wahres Selbst als Ggs. zum "Man", s. Heidegger Sein und Zeit 126: Dieses müsse sich ablösen von der Welt, dem Man, SuZ 127 (Pauen 126f.) Bei Heidegger faktisch eine Trennung in Pneumatiker und Hyletiker, letztere als Opfer der Verblendung des Lebens in der Uneigentlichkeit, das einsame Selbst und die Masse des Man, Pauen 280. Pauen schreibt von einem "sekundären Pessimismus" bei Heidegger: Im Alltag gar nicht wahrnehmbar, erst wenn "Theorie der Eigentlichkeit" geltend gemacht wird, ebd. 292, 318. Die Intellektfeindlichkeit, Kritik der Wissenschaften und deren Diskreditierung dient der Immunisierung der eigenen Inhalte vor Kritik, Pauen S. 296. (Logik selbst ist nur ein Schein, ein Vorurteil; Selbstlegitimation als Motiv, Pauen 321) An die Stelle der Wissenschaft tritt die Ästhetik, und nicht nur bei Heidegger, ebd. 300. Rigider Dualismus: das "Sein" als das Andere des "Seienden", Pauen 328f. Nur die Stimme der Auserwählten zählt in der Auseinandersetzung; dies sind jene, die sich mit der Theorie des "Seyns" einverstanden erklärt haben. Alle anderen gelten als verblendet (Immunisierung). Pauen 329 J finsterer die Gegenwart, desto leuchtender das eschatologische Gegenteil, Pauen 330.

 

Ist der Gnostizismus Ausdruck einer Welle der Verzweiflung und des Selbsthasses des Bürgertums, s. Krockow Entscheidung S. 91; Pauen leugnet das! Pauen 331 Oder Ausdruck einer Philosophie, die den von Wissenschaftstheorie und Neukantianismus aufgegebenen philosophischen Spielraum zurückerobern will.

 

Th. W. Adorno: Verlorene Totalität der Wirklichkeit, GS 1973ff. I 325, 341 Die Situation objektiv aussichtslos, daher von Theoretikern keine Lösung zu erwarten, Pauen 357 Verblendungszusammenhang, Pauen 358 Verfall bürgerlicher Ordnung zu einem reinen Machtinstrument, insbes. der Presse (Spengler Today), Pauen 359. Aus der Verblendung durch Schock befreien, das Grauen gar noch zu steigern, die angebliche Enteignung des Bewußtseins so rückgängig zu machen. GS X 1, 54 Aber schon Spengler, Klages, Nietzsche, Schopenhauer hatten solche Vorstellungen und scheiterten! Pauen 361 Das philosophische Wissen soll den Verblendungszusammenhang zerreißen, Pauen 365 Unter dem Titel der "Dialektik der Aufklärung" wird die Möglichkeit der Erkenntnis bezweifelt (Rationalität sei umgeschlagen in Mythologie! Pauen 366) Insbes. der Kulturindustrie wird angelastet, daß der Verblendungszusammenhang auch den szientifischen Bereich eingenommen hat: Massenbetrug! Pauen 369 Das Individuum als das reine Nichts! (Dialek. der Aufkl. Horkh. V S. 171f.) Ein Verfallsprozeß,  Pauen 371 Vermassung als Stichwort, (Dialektik der Aufklär., Horkheimer GS V S. 156) Das Unverständnis der Menge wird antizipiert, vgl. Dial. 235, Pauen 374; Selbstermächtigung der Autoren als Konsequenz! Das Gemeinte aber ist unaussprechbar. Pauen 375 Kunst als Alternative, Pauen 377, ihr ekstatischer Charakter, das Zeichen echter Kunst (Epiphanien), Pauen 382 Sie hat Zugang zur Sprache der Dinge, Pauen 384, 386: Nähe zu den Dingen, d. h. Nähe zur Sprache der Namen. - Die Welt gilt ihm als radikal böse, Adorno GS VI 374 (vgl. Denkbild, Stichwort "Hölle"), Pauen 399

 

 

Die Erkenntnis der Verblendung aber nur einer Minderheit vorbehalten, Pauen 408 (Fazit), das Nichts wird schließlich mit dem Sein identifiziert, ebd.

 

Der Gegensatz zwischen Parteiführung und Bevölkerung in den Ländern des sozialistischen Ostblocks ist in Bezug auf mangelnde intellektuelle oder politische Freiheit, unterdrückte Pressefreiheit usf., natürlich ein Verhältnis von Obrigkeit und eines seiner Mündigkeit vorenthaltenen Volkes. Genauer: die Psychologie der Mächtigen des Sozialismus läßt vermuten, daß die politischen Führer ihr Volk als unmündig (sozialistisch unreif) verstanden haben und sich folglich, im Besitz der Wahrheit wähnend, legitimiert glaubten, Erziehungs- und Strafmaßnahmen anzuwenden. - Ist eine solche Tendenz nicht vielen Politikern eigen? ein Hinweis darauf bildet die poltische Metaphorik des ALandesvaters@, des ASteuermanns@, etc.

 

Timothy Leary, Hohepriester der amerikanischen Hippies, scheint ganz absonderliche Vorstellungen über eine künftige DrogenWelt gepflegt zu haben: Jene, die nicht ablassen können von kapitalistischen Prinzipien, sollen unterirdisch leben und arbeiten und die oberirdisch ihren Vergnügungen frönenden, weltweisen Leary-Anhänger ernähren, s. T. Maldonado, Umwelt und Revolte, Reinbek 1972, 112f.

 

Bergedorfer Gespräche, 1966, Protokoll 21:

Friedrich Heer: die Mehrheit der Mitbürger "Alphabeten", nämlich Leute, die "mental, gefühlsmäßig und wissensmäßig in anderen, früheren geschichtlichen Zonen beheimatet" seien, nur Volksgenossen, nicht Zeitgenossen.(8f., 16) - E. Kuby fordert, daß die "große retardierte Menge erst auf die Höhe der Gegenwart zu heben" seien, man müsse diese große Gruppe pädagogisch und politisch "irgendwie in den Griff bekommen" (18). Zit. bei Arnold Gehlen Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik Wiesbaden 1981(zuerst 1969), 152f.

Zynisch gefaßt: Freiheit für sich selbst, Gleichheit für die anderen. (Gehlen ebd. 107?)

 

Gehlen contra Adorno:

Gehlen fragt nach der Mündigkeit und ob Adorno wirklich jedermann die Belastung mit Grundsatzproblematik, mit Reflexionsaufwand, mit tief nachwirkenden Lebensirrtümern zumuten möchte, die "wir durchgemacht haben, weil wir versucht haben uns freizuschwimmen"? Adorno antwortet mit einem klaren "Ja".

Für Gehlen sei es das Beste, man hilft den Menschen dabei, daß sie ihren Geschäften "kritikfest und einwandsimmun" nachgehen können, und erspart ihnen einen Reflexionsaufwand, durch den sie erst auf den katastrophalen Zustand des Ganzen gestoßen werden. Zit. bei Wiggershaus, Die Frankfurter Schule 1986, 653. Vgl. R. Safranski, Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit 1994, 468f.

 

Gnostisches Denken heute ohne Mehrheit, auch keine absehbare Gefahr dafür, Pauen 411. Aber weshalb gnostisches Denken, seit 150 Jahren, seit Schopenhauer, seit Goethes Tod! Vgl. Pauen 408f. Gnostisches Denken kein Symptom des Zerfalls; philosophiehistorisch: Abwendung des Neukantianismus (der Positivismus des Zählens, Messens, Wiegens); die immanente Logik: je schlimmer die Gegenwart dargestellt, desto leuchtender scheint das Andere.

 

Die gesamte Zensurgeschichte ist eine Geschichte der Unmündigkeit des Volkes. Katholische Zensoren rechtfertigen die Literaturkontrolle mit der Verantwortung der kath. Kirche für die Reinheit des Glaubens; d.h. der Einzelne wird als unfähig erachtet, schmutzige und saubere Literatur zu unterscheiden. Vgl. J. Hilgers, Index der verbotenen Bücher, 1904. Aufgrund der Unbildung sogar ein gerechtfertigtes Argument; aber beides stützt sich gegenseitig, die bevormundende Zensur und die Sorglosigkeit um die Bildung der Menschen. Hier Kirche, dort Kinder, hier Hirte. dort Schafe. Päpste und Bischöfe werden als rechtmäßige Glaubenslewhrer und Glaubensrichter gleichsam als "die gebornen Bücherzensoren" (Hilgers 400). Hilgers Argument für die Zensur: "Daß aber Irrtümer nicht vorgebracht werden dürfen, ist fürwahr kein Hemmnis der Wissenschaft und Wahrheit" (ebd.).

 

In Artikel 21, Abs. 1 des Grundgesetzes heißt es: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Daraus wurde eine Art grenzenloser Ermächtigungsnorm herausgesponnen, gemäß der die Parteien den Willensbildungsprozeß im Volke formen sollten. Im Parteiengesetz § 1, Abs. 2 heißt es dann in genau diesem bevormundenden Sinn:

 

“Die Parteien wirken an der Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens mit, indem sie insbesondere auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluss nehmen, die politische Bildung anregen und vertiefen, die aktive Teilnahme der Bürger am politischen Leben fördern, zur Übernahme öffentlicher Verantwortung befähigte Bürger heranbilden...” usf. Zit. bei Reginald Grünenberg, Das Ende der Bundesrepublik 2.0. Demokratische Revolution oder Diktatur in Deutschland. Berlin: Perlen 2010, S. 162.

 

Dabei entsteht geradezu zwangsläufig ein Bild von “mündigen Parteien”, denen der “unmündige Bürger” gegenübersteht. Ein konkretes Beispiel dafür ist die Militärpolitik verschiedener Bundesregierungen.

 

Hans Rühle, ehemaliger Chef des Planungsstabes im Bundesverteidigungsministerium von 1982 bis 1988, betonte den Stellenwert der Aufgabe für die bundesdeutschen Politiker, sich von der innenpolitischen Fessel Aöffentliche Meinung@ in der Out-of-area-Frage zu befreien: ATo get German society to change its thinking so fundamentally - to accept TV pictures of body bags containing German soldiers - would require a cultural revolution... German politicians must realize that to prepare the Bundeswehr for tasks outside its traditional scope will require an intensive and carefully managed effort to educate the entire population.@ (Rühle 1993) Zit. bei Randolph Nikutta, Einfluß der Öffentlichkeit auf die AOut-of-area@-Politik, in: Klaus-Jürgen Scherer/Ulrike C. Wasmuht (Hrsg.), Mut zur Utopie! Festschrift für Fritz Vilmar, Münster 1994, 254-286, hier 279.

 

 

Allerdings können sich die Führer zweier sich feindlich gegenüberstehenden Gruppierungen leichter miteinander verständigen als das Volk, wofür Nordirland ein Beispiel sein mag. Aber das ist eigentlich kein Argument für die Bedeutung herausragender politischer Personen, sondern ein Hinweis auf pragmatisches Handeln: Irgendjemand muß sprechen für die ihn abordnenden Menschen.

 

Auch die moderne Wissenschaft nötigt dem Leser und naturwissenschaftlich ungebildeten Menschen oft ein gängelndes Urteil auf, der gesunde Menschenverstand soll gegenüber der Autorität berühmter Forscherpersönlichkeiten suspendiert werden. So wird z.B. die Vielwelten - Theorie von modernen Physikern vertreten: APhysiker vom Rang eines Feynman, eines Hawking, eines Gell-Mann und eines Weinberg akzeptieren keine Theorien - und schon gar keine abwegig erscheinenden -, wenn sie sich nicht ernsthaft Gedanken darüber gemacht haben. ... Schon allein die Tatsache, daß sie sich der Vielwelten - Interpretation angeschlossen haben, sollte Grund genug sein, daß Sie selber sie nicht einfach ablehnen, ohne ernsthaft darüber nachgedacht zu haben.@ Frank Tipler, Die Physik der Unsterblichkeit. Moderne Kosmologie, Gott und die Auferstehung der Toten, München und Zürich  1994, S. 219

 

 

"Die Aufklärer haben immer diejenigen unterschätzt, die sie aufzuklären gedachten und die sie ihrer Aufklärung für bedürftig hielten." Hans Blumenberg, Die Vollzähligkeit der Sterne, Frankfurt /M. 1997, 453.

 

 

 

Nicht die Bürger sind unmündig, sondern die Politiker entmündigen das Volk. H.H. von Arnim, Demokratie ohne Volk 1993, bes. 355. S.a. ders. Vom schönen Schein der Demokratie. Politik ohne Verantwortung - am Volk vorbei. München 2000, 28ff. u.ö.

Die Regierenden haben Angst vor dem Volk, das sie als unfähig betrachten. Früher war es wohl möglich, daß große Teile des Volkes als ungebildet betrachtet werden konnten. Montesquieu hatte dem Volk die Geschicklichkeit des Regierens abgesprochen. (Vom Geist der Gesetze 1951, 1, 219f.) Was wird heute gesagt? Diemut Majer, Die Angst der Regierenden vor dem Volk, in: H.H. von Arnim, Hg., Direkte Demokratie (3. Speyerer Demokratieforum) Berlin 2000, 27-50.

Vermutlich würde auf mangelnde Professionalität verwiesen...

 

Montesquieu hegte Zeifel an der Mündigkeit aller Bürger in allen wichtigen Angelegenheiten; daher kommt er zu dem Schluß, die Gesetzgebungskompetenz in die Hände einiger vom Volk bestimmter Repräsentanten zu geben... Vgl. Alexander Christ, Bürgerliche Freiheit und Strafrecht bei Montesquieu im Kontext seiner Gesetzes- und Staatslehre, Diss. Augsburg, Berlin: Grauer Verlag 2003, S. 106f.

 

Wie primitiv ist auch eine Politikeräußerung, die denunzierend vom Druck der Straße spricht und dabei vergißt, daß sich da auf der Straße sein Souverain zu Worte meldet. Diemut Majer a.a.O. 41.

 

Bürgerinitiativen lösen bei den angestammten Vertretungsorganen enorme Konkurrenz- und Existenzängste aus; in Hamburg ging SPD-Regierung mit der Springerpresse zusammen, die Horrorszenarien für den Fall des Obsiegens der Bürgerrechtler entwarfen. Hier entlarven sich die Berufspolitiker offenbar... Manfered Zach, Kontrolle der polit. Klasse durch direkte Demokratie, in: H.H. von Arnim, Hg., Direkte Demokratie, a.a.O. 137-146, 143f.

 

Direkte Demokratie setzt auf den mündigen Bürger, der für seine Rechte kämpft und sie ausübt. In der Schweiz haben sich das Vertrauen in die polit. Mündigkeit der Bürger und die faktische Urteilsfähigkeit des Einzelnen nicht an einem Tag X ergeben; diese bilden sich in einem langen polit. Erfahrungs- und Erziehungsprozeß. Hugo Bütler, Direkte Demokratie - aus schweizerischer Sicht. in: H.H. von Arnim, Hg., Direkte Demokratie, a.a.O. 175 - 186, bes. 176 u. 178. - Die Bürger in der Schweiz zeigen ein sehr realist. Urteilsvermögen. 183.

Im Gegensatz zur Schweiz werden den Bürgern in Deutschland, nicht einmal auf Kommunal-oder Landesebene, sofern Volksbegehren überhaupt möglich sind, keine Entscheidungen über Geld zugetraut. 151

 

Vgl. auch in dem selben Band S. 203 (Mißtrauen amerik. Volksvertreter gegen die pure democracy... )

 

Das Parlament sollte ein verkleinertes Abbild der Gesellschaft darstellen... Jens Borchert, in: H.H. von Arnim, Hg., Direkte Demokratie, 116.

 

Valery Giscard d'Estaing : Das europ. Vorhaben sei "zu komplex, um einer Abstimmung unterzogen zu werden." (1992)

 

 

 

 

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Die Trennung einer Religion für die Gebildeten und einer für die Masse  bei Panaitios, von diesem durch den Pontifex Scaevola übernommen. Max Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, 3. Aufl. Göttingen 1964, 262f. Zu Scaevola Augustin CD. IV 27. Zu Panaitios s. Pohlenz S.198, zur Tripertita theologia SVF II 1009.

 

 

 

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Jede Klasse habe nur ihre Funktion (im platonischen Staat...). Pierre Hadot, Die innere Burg. Anleitung zu einer Lektüre Marc Aurels. Aus dem Französischen von Makoto Ozaki und Beate von der Osten. Frankfurt am Main: Eichborn  1996, 321.

 

 

 

 

Unmündigkeit als Begriff geht auf Kants Aufsatz über Aufklärung zurück! Erst dieser Text von 1784  setzt Mündigkeit und Aufklärung in Wechselbeziehung; und diese Formel Kants ist in den allg. Sprachgebrauch eingegangen. Vgl. Arnulf Zitelmann, Nur daß ich ein Mensch sei. Die Lebensgeschichte des Immanuel Kant, Weinheim und Basel: Beltz 1996, 196.

 

 

 

Ein König, der meinte "für das Volk denken" zu müssen, war Friedrich Wilhelm III. von Preußen.

Der Lieblingsausdruck Friedrich Wilhelm III. war "Kalmieren"; eben dieses bezeichnet die Richtung, der der Monarch am Abend seines sturmbewegten Lebens ausschließlich folgte. Sein System war ein Kalmierungssystem. Nichts in der Welt war ihm so zuwider als das "Echauffement", wie er es nannte. Er kalmierte Kirche und Staat.

Friedrich Wilhelm III. ist der Monarch, in dessen Regierungszeit die Karlsbader Beschlüsse und das Hambacher Fest fallen; die Verfassung, die er ausdrücklich seinem Volk versprochen hatte, wurde nie erlassen.

Carl Eduard Vehse, Die Höfe zu Preussen. Band 3. Von 1786 bis 1840. Herausgegeben von Wolfgang Schneider. Ausgewählt und bearbeitet von Annerose Reinhardt, Leipzig: Kiepenheuer 1993, S. 271.

Friedrich Wilhelm III. war ein braver Gefolgsmann Metternichs. Die "österreichische" Richtung des preußischen Königs hatte ihre Wurzel in der Überzeugung, daß seinem Volk die Intelligenz und Gewitztheit abgehe. Friedrich Wilhelm blieb bei dieser Ansicht auch nach dem Enthusiasmus des Volkes von 1813, 1814 und 1815. Er hörte nicht auf Stein und Gneisenau, er folgte dem Fürsten Hardenberg - dem Knappen Metternichs - und dem kalten Hofmann Fürst Wittgenstein. Ebd. S. 284.

 

 

 

Der legitimierende Charakter der Unmündigkeit des Volkes

Aus der angeblichen allgemeinen oder weitreichenden Unmündigkeit der Bürger legitimieren die Machthaber ihre Herrschaft (und so verfährt auch die Kirche: die Gläubigen werden unwissend und daher unmündig gehalten).

Wenn bis heute die allgemeine Volksbildung nicht  radikal unterstützt wird, dann hat das seinen Grund im Machterhalt der Parteien und des Establishments!

 

 

"In einigen Ländern erhalten Politiker den Rat, keine Spur von Unsicherheit an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, unter dem Vorwand, sie müssten ihre Bürger davor 'schützen', als wären diese Kinder, die die Wahrheit nicht vertragen können. Doch die LÖffentlichkeit ist intelligent genug, dieses Spiel zu durchschauen. Daher stiften solche Politiker ein Klima des Misstrauens, in dem allgemeines Desinteresse und Politikverdrossenheit gedeihen."

Gerd Gigerenzer, Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition. Zuerst New York 2007. Aus dem Englischen von Hainer Kober, München 2007, 229

 

 

Die Politiker der gegenwärtigen Regierung (2005) beabsichtigen keineswegs umzusetzen, was das Volk will, sondern unterstellen, Ader Bürger müsse über >das Notwendige= aufgeklärt werden; und genau dieser Einblick in das Notwendige entziehe sich dem demokratischen Souverän. Suggeriert wird, über den entsprechenden Sachverstand verfügten nur die klügsten Berater und Ökonomen.

Die Reforminitiaven übernehmen dann die Aufgabe, dem Volk zu erklären, was geschehen muss. Nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten verläuft die undemokratische Willensbildung. Letztendlich versuchen diese elitären Zirkel [die das Sagen haben, J.R.], demokratische Prozesse außer Kraft zu setzen.@ Albrecht Müller, Machtwahn - Wie eine mittelmäßige Führungselite uns zugrunde richtet, München: Droemer 2006, S. 317f.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Selbstauferlegte Unmündigkeit

 

 

Selbstverschuldete Unmündigkeit

 

von Yvel Kugelmann [1]

 

Dialog, Diskurs. Dialektik. Was gibt es Jüdischeres als den Diskurs, die dialektische Diskussion, das ständige sich und alles andere, die eigenen Positionen in Frage stellen, die unentwegte Reflexion, das

Streitgespräch, das in Worten Grenzen überschreiten lässt, die Herausforderung durch das unsanktionierte Reden, welches die Antennen für Gefahren und Chancen schärft?

Was gibt es Wesentlicheres als die unveränderbare Emanzipation der Juden durch Judentum, Aufklärung und Israel, die jedes von außen und selbst auferlegte Ghetto in die Verbannung katapultiert, wenn Juden selbst B und nicht nur die Gesellschaft B Juden als emanzipiert ansehen?

 

Der Weg ist das Ziel. Die Befürworter überschätzen die `Genfer InitiativeA, doch Gegner unterschätzen sie. Denn noch mehr, als dass der umfassende und pragmatische Initiative-Text greifbare Lösungen anbietet,

durchbricht dieser Dialog die dreijährige Absenz von Verhandlungen, die Eigendynamik der Verhärtung auf beiden Seiten, die Willkür einer Nichtsituation, da alles der Gewalt, nicht den Worten überlassen wird.

 

Die Möglichkeit des Konjunktivs. Da haben nicht linke Naive, linke Multikultis, linke

Wir-nehmen-alles-in-Kauf-nur-um-lieb-und-humanistisch-und-tolerant-zu-sein-Freaks, nein da haben Militärs, Intellektuelle einen für alle Seiten schmerzlichen Kompromiss ausgearbeitet, einst in Verantwortung gestandene Realpolitiker, die heute nicht einfach nur die Linke ausmachen, die beweisen, was möglich ist, wenn wieder politische Lösungen angepeilt werden, abseits von den alles negierenden und vereinnahmenden Militärstrategien, die über berechtigte Sicherheitsanliegen den Nahostkonflikt in ein

Vakuum verbannt haben. Da haben nicht ein paar Spinner Naivitäts-Science-Fiction notiert, sondern Lösungen zu Papier gebracht, die jedem längst einleuchten, der die Nahostdebatte mit dem Kopf und nicht mit dem Bauch führt, der nicht als Geisel einer Ideologie argumentiert, die Geschichte, die Religion

instrumentalisiert. Deshalb ist der Inhalt des Abkommens nicht nur umfassend, sondern inhaltlich relevant, formal für niemanden bindend, nur für jene, die dem Dialog aus dem Weg gehen: Denn die Initiative zeigt, was möglich sein könnte. Ja. Vieles kann, soll am Abkommen kritisiert werden, viele legitime Wenn und Aber stehen für alle Seiten im Raume. Und deshalb muss die Bemühung mit Respekt anerkannt werden, dass Menschen in Verantwortung um Menschen Konzessionen um Land und Grenzen eingehen für Menschen. Im demokratischen Diskurs kann so etwas geschehen, kann so etwas kritisiert werden, aber niemand hat ein geschriebenes oder ungeschriebenes Gesetz mit diesem Dialog gebrochen und deshalb entlarven Art und Inhalt der Kritik mehr die Kritiker, als dass sie etwas über die Initiative aussagen.

Menschen haben mit Menschen geredet über das, was möglich wäre.

 

Die Diktatur des vermeintlichen Schweigens. Mit Abwesenheit glänzte in Genf der geladene Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG). Nachdem die jüdische Repräsentanz in den letzten Wochen in Zusammenhang mit ihrer Stellung zum Nahostkonflikt und zur `Genfer InitiativeA einmal mehr hatte verlauten lassen, sie sei nicht der verlängerte Arm Israels und möchte die Beziehungen zu den Behörden nicht mit Kritik an der Initiative belasten, Israel und Juden sollten nicht gleichgesetzt werden, verübte mit der Absenz in Genf die Gleichsetzung gleich selbst. Denn statt die Schweizer Juden zu vertreten, von denen ein großer Teil für, ein großer Teil gegen die `Genfer InitiativeA ist, solidarisiert sich der SIG mit der vehementen und für den Staat Israel teils verständlichen Kritik an der Initiative. Menschen reden mit Menschen, und der SIG ist nicht dabei, denn er verwechselt die Präsenz mit der Unterstützung des Abkommens, statt die Repräsentationspflicht der Schweizer Juden wahrzunehmen.

 

Dialog vs. Ghetto. Reden ist nicht unverbindlich, aber bindet niemanden. Das ist das Wesen dieser Initiative. Wer sich nicht in den Dialog einbringt, kann nicht mitgestalten. Es wäre insofern sinnvoll, wenn der SIG sich wieder politisch einbringen würde, anstatt das Feld alleine denen zu überlassen, die nicht mehr warten können, bis der SIG sich wieder einbringt. Seien wir also wieder selbstverschuldet mündig.

 

[1]   Der Beitrag erschien als Editorial im Schweizer jüdischen Wochenmagazin `TachlesA am 5.12.2003. Wir danken dem Autor für

die Erlaubnis der Reproduktion.

 

 

 

 

 

 

 

Unmündigkeit

                              (recht.zivil.materiell.at)

 

Von Unmündigkeit spricht man, wenn eine natürliche Person noch nicht die Reife besitzt,

um die Folgen ihrer Handlungen einschätzen zu können. Im Zivilrecht spricht man von

Minderjährigkeit bzw. Deliktsunfähigkeit (siehe unter Deliktsfähigkeit) und im Strafrecht

von Strafunmündigkeit (siehe unter Strafmündigkeit).

 

                              Wichtiger Hinweis!

 

                              12.06.07 Anonym:

           ist unmündigkeit positiv oder negativ gemeint ....echt kompliziert das wort

                              04.05.07 Anonym:

           wir haben auch aufklärung in der schule..und das wort unmündigkeit

           versteh ich auchnicht..

                              03.10.06 info:

           Unter historischen Gesichtspunkten wird man unter Unmündigkeit den

           Zustand vor der Aufklärung verstehen. Hier gilt dann wohl das Kantzitat:

           \"Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne

           Leitung eines anderen zu bedienen.\"

                              03.10.06 Anonym:

           ich verstehe es nicht so recht!?was bedeutet \"UNMÜNDIGKEIT\"

           eigentlich? Wir behandeln es in geschichte,aber trotzdem...

                              08.03.06 Anonym:

           Unmündigkeit - was bedeutet das eigentlich?

 

 

 

 

 

 

Kant und "Unmündigkeit"

 

Unmündigkeit  Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines

      Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des

      Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen

Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

 

Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen  (naturaliter

maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig

zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, u.s.w.: so brauche ich

mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen.

Daß der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm

gemacht haben, und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften: so

zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen, allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch

einigemal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern, und schreckt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen ab.

 

Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar lieb gewonnen,

und ist vor der Hand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ. Satzungen und Formeln,

diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Mißbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden

Unmündigkeit.-  Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1783)

 

 

 

 

 

 

 

Ein Liberaler und Publizist wie Walter Lippmann meinte, es gehe heute in den USA darum, persönliche Freiheit gegen den Druck der “Massen” zu verteidigen; die Mehrheit der Wähler drücke längst nicht das öffentliche Interesse aus, dazu seien die Menschen zu wenig klarsichtig, rational und altruistisch. Gert Raeithel, Geschichichte der nordamerikanischen Kultur, Band 3. Vom New Deal bis zur Gegenwart 1930-2002, Zweitausendeins: Frankfurt a.M. 2002, 4. Aufl. S. 261

 

 

“Gustav Adolf Rochus von Rochow 1792-1847, 1834 preuß. Innenminister, konnte für sich in Anspruch nehmen, am 15. Jan. 1838 der Welt die Redewendung vom ‘beschränkten Untertanenverstand’ geschenkt zu haben. ‘Es geziemt dem Untertanen nicht, an die Handlungen des Staatsoberhauptes den Maßstab seiner beschränkten Einsicht anzulegen und sich in dünkelhaftem Übermut ein öffentliches Urteil über die Allgewalt derselben anzumaßen.’ Damals hatten sich die “Göttinger Sieben”, sieben Professoren der Universität Göttingen, gegen die Aufhebung der Verfassung durch den in Hannover selbstherrlich regierenden König Ernst August ausgesprochen und waren aus der Stadt verwiesen worden. Rochows Warnung galt den Bürgern, die sich für die ausgewiesenen Professoren eingesetzt hatten.” Rosemarie Schuder, Der Fremdling aus dem Osten. Eduard Lasker - Jude, Liberaler, Gegenspieler Bismarcks, Berlin: vbb 2008, 26

Eduard Lasker sorgte sich um 1873 darum, daß die Kinder in den Schulen einer Erziehung zur Willenlosigkeit ausgeliefert werden könnten!  Ebd. Schuder, S. 123

 

Die angebliche Unmündigkeit der Bürger ist das vielleicht wichtigste theoretische Werkzeug, um die politischen Direktiven der Demokratie auszuhebeln!